18.01.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Schrille Farben und üppige Formen

Möbel aus den Siebzigern sind zu modernen Antiquitäten geworden - ein Trend auch in Bielefeld

Von Michael Schläger
und Bernhard Pierel (Fotos)
Bielefeld (WB). Wandregale aus grünem Kunststoff, Breitcordsessel und die Musikanlage in Kugelform: Was in den 70er Jahren der letzte Schrei war, ist inzwischen so etwas wie eine moderne Antiquität. Auch in Bielefeld haben sich längst mehrere Geschäfte auf den Handel mit Möbeln, Lampen und Unterhaltungselektronik aus dem quietschbunten Jahrzehnt spezialisiert. Eines von ihnen ist »Schall und Raum« an der Jöllenbecker Straße.

Wer den Laden betritt, fühlt sich zurückversetzt in die Zeit vor 30 Jahren. Der alte »Wega«-Fernseher ist vor der dunkelbraunen Sitzgruppe aufgebaut, in der Mitte steht der Plastik-Esstisch von Alibert mit den dazugehörigen Stühlen und im Schaufenster die »Serpente«, die Schlange, ein Lampenklassiker aus italienischer Produktion. »Bei einer Haushaltsauflösung findet man solche Teile nicht«, sagt Gabriele Saul (32). Seit April 2003 führt sie die Geschäfte von »Schall und Raum«. Die Grafikdesignerin hat sich stets für die üppigen Formen und mutigen Farben jener Stilepoche begeistert. Irgendwann wurde dann ein Beruf daraus.
Gemeinsam mit Ehemann Kai Fischer geht sie regelmäßig auf Reisen, um Nachschub für ihr modernes Antiquitätengeschäft aufzustöbern. »In Italien und Skandinavien wird man noch am ehesten fündig«, sagt sie. Der deutsche Markt sei abgegrast.
Italien und die skandinavischen Staaten waren die Länder, in denen der Einrichtungstrend, der inzwischen auch bei Neumöbeln eine Renaissance erlebt, geboren wurde - und das oft schon in den Sechzigern. »Vor allem die Italiener hatten Spaß an den runden Formen«, erläutert Gabriele Saul. Sitzschalen und Plastikstühle aus einem Guss wurden nur möglich, weil Kunststoffhersteller so robuste Rohstoffe lieferten, dass sie auch zu Möbeln verarbeitet werden konnten. Gepaart mit dem Flower-Power-Lebensgefühl jener Zeit, wurde daraus ein revolutionäres Design, das sich bis zum Essgeschirr und in der Gestaltung eines Radioweckers fortsetzte.
»Schall und Raum« lebt weniger von der Laufkundschaft als vom Versandhandel in alle Welt. Das Internet macht's möglich. Saul: »Bis nach Neuseeland haben wir unsere Möbel schon verschickt.« Wichtiges Standbein ist auch die Vermietung der Gegenstände - für 70er-Jahre-Partys oder als Requisiten für Fotostudios oder Filmproduktionen.
»Unsere Kundschaft ist bunt gemixt«, erzählt Gabriele Saul. Es kommen Studenten, die ein »abgefahrenes« Geburtstagsgeschenk suchen und auf diese Weise das Lebensgefühl ihrer Eltern wiederentdecken. Es kommen auch Menschen, die einfach nur stöbern und staunen. Es melden sich aber auch die, die mit diesen Möbeln gelebt haben und noch leben. Sie suchen meist gezielt nach Ersatz oder Ergänzung.
Mögen die Siebziger-Möbel auch noch nicht als Kapitalanlage dienen wie eine Rokokokommode, so gehen für besondere Stücke inzwischen längst mehrere tausend Euro über den Ladentisch. Aber das echte Siebziger-Feeling gibt's auch schon günstiger. In Form der Kaffeemühle Krups Coffina oder der Teegläser mit knallig-rotem Halter für wenige Euro.

Artikel vom 18.01.2005