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Mit Mut am Image
der Stadt arbeiten

Aktionsprogramm gegen Gewalt in Espelkamp

Von Stefanie Westing
Espelkamp (WB). Eine junge Frau wird auf offener Straße angepöbelt und bedroht - und die Passanten schauen weg. Im Bus gibt es Streit zwischen zwei Jugendlichen - und niemand greift ein. Einer alten Dame wird die Handtasche entrissen - und kein Mensch kümmert sich darum. Szenen wie diesen sagt ein Projekt in Espelkamp (Kreis Minden-Lübbecke) den Kampf an. »Wer nichts tut, macht mit«, lautet der provokante Slogan der »Aktion Zivilcourage«.

Drei Kooperationspartner - die Stadt Espelkamp, das Gewaltpräventionsprojekt »Doors« der Evangelischen Stiftung Ludwig-Steil-Hof und die Kreispolizeibehörde Minden-Lübbecke - haben die Aktion organisiert. Durch die besondere Ausgangssituation Espelkamps als junge, erst nach dem Zweiten Weltkrieg neu gegründete und dem großen Ziel verpflichtete Stadt, Vertriebene zu beheimaten und zu integrieren, ergeben sich unterschiedliche Problemlagen. Themen wie Integration, Toleranz oder Vorurteile liefern immer neue, vielschichtige Aufgaben.
Spätestens, seitdem sich zur Fußball-Weltmeisterschaft 2002 jeweils 100 russlanddeutsche und türkische Jugendliche im Stadtzentrum gegenüberstanden, um sich zu prügeln, genießt Espelkamp ein negatives Image. »Mit dieser Aktion wollen wir deutlich zeigen, dass die Stadt nicht so schlecht ist, wie viele denken«, sagt Hauptkommissar Volker Pfeiffer, Leiter der Polizeiwache.
Für die Auftaktveranstaltung am 7. Februar konnte ein namhaftes »Zugpferd« gewonnen werden: Mehrere Profis des Fußball-Bundesligisten Arminia Bielefeld wirken bei einem Fußball-Turnier der weiterführenden Schulen mit. Nach Aussage von Arminia-Sportdirektor Thomas von Heesen sind unter anderem Finn Holsing, der selbst in Espelkamp das Gymnasium besuchte und sein Abitur machte, und Nationalspieler Patrick Owomoyela mit von der Partie - aber auch bewusst Spieler anderer Nationalitäten, um den Kontakt zu ausländischen Schülern besser herstellen zu können.
Doch das ist nur der Anfang. »Es wird mindestens zwei Jahre lang Projekte geben, um die Zivilcourage zu stärken«, kündigt Mitorganisatorin Bernadette Seibert vom Gewaltpräventionsprojekt »Doors« an. »In Espelkamp ist oft zu hören: ÝDie Verantwortlichen tun nichts, die Polizei handelt nicht, die Russen oder Türken sind schlecht, die Schulen engagieren sich nicht.Ü Dem gilt es, entgegen zu wirken. Jeder soll wieder Grundsätze lernen, zum Beispiel andere Menschen so zu behandeln, wie er selbst behandelt werden will.«
Mit einer Reihe von unterschiedlichen Aktionen sollen die Bürger sensibilisiert werden und unter diesen Voraussetzungen eigene Strategien zur Zivilcourage entwickeln. Provokante Botschaften lenken die Aufmerksamkeit auf das Thema. »Angesprochen sind alle, unabhängig von Alter und Ansehen, Armut oder Reichtum, Herkunft oder Nationalität, Religion oder Schichtzugehörigkeit«, betont Seibert. Jeder solle seinen Beitrag leisten zum besseren Miteinander, um so das Gemeinwohl positiv mitzugestalten.
Dabei geht es ausdrücklich nicht darum, sich selbst in Gefahr zu bringen. Stattdessen sollen »konkrete Handlungsanweisungen vermittelt werden, die aufzeigen, dass jeder helfen kann, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen und dass kleine aktive Handlungen bereits eine große Wirkung erzielen können«, heißt es in einem von Seibert und Stadtjugendpfleger Frank Engelhardt formulierten Konzeptpapier.
Neben Informationsveranstaltungen auf dem Wochenmarkt, Polizei-Training mit Zertifizierung, Maßnahmen an Schulen oder Begegnungsworkshops sind zum Beispiel auch Rollenspiele geplant. Espelkamper Schüler inszenieren in der Innenstadt auf offener Straße einen Streit oder eine Rauferei. »Unsere These ist: Niemand wird helfen. Dann können wir die Bürger ansprechen und fragen, warum sie wegschauen«, erläutert Seibert. Und wenn beim nächsten Mal vielleicht ein Menschen hilft oder auch nur die Polizei ruft, ist das ein großer Erfolg.

Artikel vom 29.01.2005