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Ein neues Zuhause für Elias und Jasmin

Barbara und Reinhard Göstenkors aus Delbrück haben zwei Pflegekinder zu sich genommen

Von Silvia Scheideler
Delbrück (WB). Wenn Elias (6) und Jasmin (13, Namen geändert) nach Barbara Göstenkors rufen, schallt laut das Wort »Mama« durchs Haus. Ganz selbstverständlich ist es nicht, dass die Kinder die 42-Jährige so nennen. Die beiden sind nämlich ihre Pflegekinder.

Zur Familie Göstenkors gehören auch Papa Reinhard (40) und Stefan (10), der leibliche Sohn des Ehepaares. »Mein Mann und ich wollten immer eine große Familie haben. Nach der Geburt von Stefan erlitt ich aber einige Fehlgeburten, so dass wir uns ein Adoptivkind wünschten«, erzählt Barbara Göstenkors.
»Der Wunsch, ein fremdes Kind anzunehmen, entsteht häufig daraus, dass Paare selbst keine Kinder mehr bekommen können«, bestätigt Gabi Köster, Sachbearbeiterin im Pflegekinderdienst beim Kreisjugendamt Paderborn, den Fall der Delbrücker Familie. »Wir wollen Paare ermutigen, die Alternative Dauer-Pflegekind in Betracht zu ziehen.«
»Man kann ein Kind immer nur ein Stück seines Lebens begleiten, ob es nun das eigene, ein adoptiertes oder ein Pflegekind ist.« So sehen es die Göstenkors heute und wollen damit Paaren, die sich Kinder wünschen und keine eigenen bekommen können, Mut machen. »Heute finde ich emotional keinen Unterschied zwischen Adoption und Dauerpflege«, sagt die Delbrückerin.
Elias kam im Mai 2000 mit 15 Monaten zu seinen neuen Eltern. »Ich musste erst einmal wieder lernen, Windeln zu wechseln«, berichtet die Pflegemutter. Der Vater von Elias erkannte, dass er seinen drei Kindern nicht gleichermaßen gerecht werden konnte und nahm die Hilfe des Kreisjugendamtes in Anspruch. Barbara Göstenkors schätzt seine Entscheidung hoch ein: »Loslassen ist auch eine Form von Liebe.«
Dass dieser Fall einer der seltenen ist, erklärt Gabi Köster: »Nicht selten spielen Verwahrlosung und Gewalt eine Rolle, dann greift das Jugendamt ein. Über das Sorgerecht entscheidet dann das Familiengericht. Die Angst, ein Pflegekind plötzlich wieder abgeben zu müssen, ist unberechtigt. Handelt es sich um eine Dauerpflege, begleiten die Pflegeeltern das Kind bis zum 18. Lebensjahr.«
Das Kreisjugendamt übernimmt eine Vermittlerrolle zwischen Pflegeeltern und leiblichen Eltern. »Elias Papa kann sein Kind regelmäßig sehen, nur nicht allzu oft, da der Kleine sonst aus seinen familiären Strukturen herausgerissen würde. In Elias Fall beschränkt sich der Kontakt darauf, dass sein leiblicher Vater Fotos und Informationen erhält. Sein Kind zu sehen, würde ihn emotional zu stark belasten«, berichtet Gabi Köster.
Jasmin kam als Notfall zu Familie Göstenkors. »Mein Mann und ich sind auch in der Bereitschaftspflege, dass heißt, dass uns das Jugendamt anruft, wenn es irgendwo brennt - wie im Fall von Jasmin«, erzählt Barbara Göstenkors. Eigentlich sollte es nur ein kurzer Aufenthalt werden, bis sich eine geeignete Familie findet. Als Jasmin gleich am zweiten Tag fragte, ob sie nicht für immer bleiben könne, kamen Reinhard und Barbara Göstenkors ins Grübeln und entschieden sich für ein drittes Kind. »Jasmin war bereits elf Jahre alt und hat in ihrer Herkunftsfamilie schlimme Erfahrungen gemacht. Heute ist sie ein fröhliches Mädchen. Sie geht sogar zur Realschule und bringt gute Noten mit nach Hause«, erzählt die Pflegemutter mit sichtlichem Stolz.
»Wir raten Pflegeeltern, die selbst ein eigenes Kind haben, dass das Pflegekind das jüngste in der Familie sein sollte, damit Kinder wie Stefan ihre Position beibehalten«, erklärt Gabi Köster. Obwohl das im Fall der Delbrücker Familie nicht zutraf, hat alles wunderbar geklappt. »Für Stefan sind Elias und Jasmin seine Geschwister, so wie ich für alle drei die Mama bin«, berichtet die 42-Jährige aus dem Familienleben. Dass sie zwei Mamas und zwei Papas haben, wissen Elias und Jasmin. Barbara Göstenkors ist sich sicher, dass das besser für die Kinder ist.
Die Hausfrau ist froh, dass ihre anfänglichen Bedenken, wegen des Alters und der Erfahrungen von Jasmin, unbegründet waren: »Man braucht halt viel Liebe, Geduld und Aufmerksamkeit, aber auch Regeln und Strukturen, die in den Herkunftsfamilien oft fehlen. Dann klappt das auch.« Alles mache sie bestimmt auch nicht richtig, räumt sie ein. Aber wenn es Probleme gibt, hilft ja das Kreisjugendamt.
Im Rahmen der Vorbereitungen werden Pflegeeltern in spe über Urlaubszuschüsse, Versicherungen, Krankenkassen, Beantragung von Beihilfen und ähnliches informiert. »Die Dauerpflege gilt rein rechtlich als Hilfe für Erziehungsberechtigte«, erklärt Gabi Köster vom Kreisjugendamt Paderborn. Das heißt, wenn bei Elias oder Jasmin eine Operation anstünde, müsste das Einverständnis des Erziehungsberechtigten eingeholt werden. »Kommt es aber zum Beispiel zu einem Notfall, wie zu einem Unfall, kann ich alles unterschreiben«, sagt Barbara Göstenkors.
Ob und wer als Pflegeeltern in Frage kommt, entscheidet das Jugendamt. »Es ist eine Einzelfallprüfung. Paare müssen einen achtseitigen Bogen ausfüllen und sich bewerben«, so Gabi Köster. Wer glaubt, man müsse verheiratet sein, irrt. Es muss eine langjährige Partnerschaft vorliegen, mindestens fünf Jahre. Bei der Pflegeelternschaft muss ein in Sachen Alter natürliches Eltern-Kind-Verhältnis gegeben sein. »Anfangs wünschen wir uns schon, dass insbesondere die engste Bezugsperson nicht berufstätig ist. Die Kinder haben einen hohen Nachholbedarf«, erklärt die Sachbearbeiterin. Für Pflegeeltern gelten übrigens seit einem Jahr die gleichen gesetzlichen Elternzeiten wie für leibliche Mütter und Väter. Klar ist auch, dass das Kreisjugendamt Einblick in die Verdienstverhältnisse von Bewerbern haben will. Gabi Köster: »Wir achten darauf, dass das Pflegegeld nicht dazu dient, eine Familie über Wasser zu halten.«
Im Kreis Paderborn befanden sich 2004 etwa 50 Kinder in der Bereitschaftspflege und 153 in der Dauerpflege. Delbrück ist in der Dauerpflege ganz vorne mit dabei: »Von den 153 Kindern leben 52 im Delbrücker Land.« Die Frage, wie viel Zeit vergeht, bis es zur Vermittlung kommt, ist schwer zu beantworten, da das Jugendamt des Kreises die Vermittlung ganz auf die Bedürfnisse des Kindes abstimmt. »Für einen Säugling gibt es längere Wartezeiten, weil sich viele Paare ein Baby wünschen«, erklärt die Jugendamt-Mitarbeiterin. »Ich würde mir nicht nur mehr Bewerber wünschen, die Kindern Familie ermöglichen, sondern auch mehr Mütter und Väter, die Mut haben, auch einem älteren Kind ein neues Zuhause zu geben.«

Artikel vom 29.01.2005