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Glücklich mit
dem Ein-Euro-Job

Anja Birth und das Holtebrocker Spielhaus

Von Monika Schönfeld
Schloß Holte-Stukenbrock (WB). Von Freunden hat sie schon oft die Frage gehört. »Bist Du blöd? Für einen Euro in der Stunde arbeiten?« Anja Birth ist alles andere als blöd - und seit Oktober 2004 mit einem Ein-Euro-Job bei der Elterninitiative Holtebrocker Spielhaus beschäftigt.

Der als gemeinnützig anerkannte Verein betreut in Schloß Holte-Stukenbrock Kinder im Alter unter drei Jahren, die noch keinen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz haben und in den Kindergärten der Stadt in der Regel nicht aufgenommen werden.
»Ich arbeite gern - und bevor ich unzufrieden zu Hause herumsitze, mache ich doch lieber, was mir Spaß macht - mit Kindern arbeiten«, sagt Anja Birth, die von der Leiterin des Holtebrocker Spielhauses, Renate Carow, beste Noten bekommt: »Sie kann gut mit kleinen Kindern umgehen und ist eine gute Ergänzung in unserem Haus. Ich kann mich voll und ganz auf Anja verlassen. Sie ist eine echte Hilfe - ich würde sie gern behalten.«
Für die 26-Jährige sind das viel gescholtene Gesetz Hartz IV und die Ein-Euro-Jobs ein Segen. Bisher bekam sie nur 170 Euro Arbeitslosenhilfe - der Betrag des Arbeitslosengeldes II hat sich zum Januar für sie verdoppelt. »Jetzt bekomme ich 345 Euro und einen Mietanteil«, kann Anja Birth wieder freier atmen.
Die im brandenburgischen Spremberg geborene Frau ist kurz vor der Wende nach Vetschau im Spreewald gezogen und hat dort die Mittlere Reife gemacht. Im letzten Lehrjahr zur Steuerfachgehilfin wurde sie krank. »Zuerst hatte meine Chefin mir zugesagt, ich könnte bei ihr das dritte Lehrjahr wiederholen - als es dann soweit war, wollte sie das nicht. Kein anderer Steuerberater wollte mich für ein Lehrjahr haben«, erzählt Anja Birth.
Sie wurde arbeitslos und ging als Aupair-Mädchen ins Ausland. Ihre Oma sei Säuglingsschwester, ihre Mutter Erzieherin in einer Kinderkrippe gewesen - der Umgang mit Kindern sei ihr wohl in die Wiege gelegt worden. So fand sie eine Familie in England, deren neunjährige Tochter sie betreute, dann zog sie nach Irland, wo sie für die drei Mädchen einer anderen Familie da war. Nebenbei hat sie in Irland ein Fernstudium in Kinderbetreuung absolviert - mit Auszeichnung. »Das ist überall viel wert - nur nicht in Deutschland«, musste Anja Birth später feststellen.
Irgendwann hat sich Anja Birth entschlossen, in Irland einen Kindergarten aufzumachen - aber das ist für eine Ausländerin dann doch nicht so einfach. Im Alter von 25 Jahren wollte sie wieder nach Hause, zog nach München, wo sie ein halbes Jahr als Kindermädchen für drei Monate alte Zwillinge und deren zwei Jahre alte Schwester arbeitete. Dann der Umzug nach Berlin, wo man ihr bei der Agentur für Arbeit sagte, sie sei zu alt für eine Umschulung. Fremdsprachenkorrespondentin - diesen Beruf hätte sie sich vorstellen können. Also wieder ein Job als Kindermädchen und dann der Umzug in die Kleinstadt Schloß Holte-Stukenbrock, wo sie mit einer Bekannten in einer Wohngemeinschaft leben konnte. »Ich habe mich bei allen Kindergärten und dem Holtebrocker Spielhaus beworben - aber nur Absagen erhalten«, berichtet sie.
Die Vorsitzende der Elterninitiative Holtebrocker Spielhaus, Bärbel Hanke, brachte den Stein ins Rollen. Sie fragte bei der Gesellschaft für Arbeits- und Berufsförderung mbh (GAB) in Bielefeld, ob Anja Birth als Ein-Euro-Kraft arbeiten könnte. Die Voraussetzungen stimmten. Der Job ist auf ein halbes Jahr befristet.
Und was kommt dann? Sie könnte im Holtebrocker Spielhaus eine Ausbildung zur Erzieherin machen - allerdings sind die Kinder zu jung, damit ist eine Ausbildung nicht möglich. »Eine Ausbildung zur Erzieherin dauert fünf Jahre. Vier Jahre müsste ich von Schüler-Bafög leben. Prickelnd ist das nicht, mit 30 noch vom Staat leben zu müssen.«

Artikel vom 29.01.2005