15.01.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Hohes Tempo
von Anfang an!«

Der neue Intendant probt öffentlich

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Bielefelds Theatergänger sind gespannt auf ihren neuen Intendanten: Auf reges Interesse stieß Michael Heicks' erste öffentliche Probe im Theater am Alten Markt.

Russland feiert, Russland liebt, Russland trinkt. Die Theater- und Konzertfreunde laden kulturinteressierte Bürger regelmäßig zu Proben des aktuellen Stückes ein, um die Welt der Bühne ins Bewusstsein zu rücken - ein Angebot diesmal von doppeltem Reiz: Nicht nur dass am Donnerstag Anton Tschechows temporeiche Gesellschaftssatire »Platonow« die Sinne kitzelte - die etwa 50 Besucher erhielten darüber hinaus erstmals einen Einblick in die Arbeitsweise des neuen Intendanten.
»Halt, stop, viel zu langsam! Wenn ihr das Publikum seht, werdet ihr auch gesehen, und hier soll gefeiert werden - also Tempo von Anfang an!« Michael Heicks scheucht seine Akteure, aber nicht cool vom Bühnenrand aus - er hüpft gleich mit: »Schneller, und direkt aus dem Off im richtigen Rhythmus, Leute!« Und übermütig fährt die Polka allen in die Beine.
»Natürlich gebe ich eine generelle Richtung vor, aber die Schauspieler reden mit. Ich halte nichts davon, dem Stück ein starres Schema überzustülpen«, erläutert Heicks seine liberale Arbeitsweise. Liberal heißt aber nicht luschig und Laissez-faire, sondern Konzentration aufs Wesentliche unter Einbeziehung aller Mitwirkenden. »Die die Spielfreude steigt, wenn sich alle einbringen.«
Das solchermaßen hochmotivierte Ensemble reagiert prompt. Aus drei Einzelkämpfern an der Wodkaflasche, die sich in ihren Sesseln wie in einer Wagenburg verschanzen, wird innerhalb weniger Minuten ein perfekt aufeinander reagierendes Trio, das überschäumende Lebenslust vermittelt. Mit feinen Widerhäkchen, ohne Netz, aber doppelbödig - wir spielen schließlich Tschechow.
Galant brachte die Thekos-Vorsitzende Christiane Pfitzner Intendanz und Publikum zusammen, so dass schnell ein angeregtes Frage- und Antwortspiel in Gang kam. Kenntnisreich führte der geschäftsführende Schauspieldramaturg Uwe Bautz in das Stück ein, das eine heterogene Gruppe russischer Mittelständler beim Abgesang auf das Zarenreich zeigt.
Und wenn die Welt in Scherben fällt, den Sommer wollen Tschechows Figuren noch unbeschwert genießen. Premiere ist am Sonntag, 23. Januar, 19.30 Uhr. Mitten im Winter. Auf der Bühne droht Schneefall. Mit echtem Schnee. »Aber das sind die Unwägbarkeiten, die das Theaterleben so spannend machen«, sagt Heicks. Lächelt verschmitzt und ist schon durch den Vorhang geschlüpft: Die Probe geht weiter!

Artikel vom 15.01.2005