15.01.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Win-Win«: der Idealfall
für Hochschulen und Politik

Anwenderorientierte Forschung in OWL überzeugt die Ministerin

Von Reinhard Brockmann
Bielefeld/Lemgo (WB). Von der gestressten Salami in Lemgo bis zum Flugzeugpropeller mit Automatik in Bielefeld: Breit gespannt waren die Beispiele, mit denen sich die heimischen Fachhochschulen (FH) am Freitag NRW-Wissenschaftsministerin Hannelore Kraft (SPD) präsentierten.
»Sattdampfverfahren« - das Wort muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, dachte NRW-Ministerin Hannelore Kraft beim Besuch der Fachhochschule Lippe in Lemgo: Professor Ulrich Müller zeigte, wie man mit heißem Dampf und Vakuum Gewürze entkeimt - trotzdem bleibt der Chili höllisch scharf.

Aus einer Salmonelle können in acht Stunden 250 werden, »die tun nichts«, oder bei falscher Lagerung auch 16,7 Millionen, »und dann geht es dem Menschen richtig schlecht«. Damit präsentierte Professor Barbara Becker der Ministerin das Labor für Mikrobiologie an der FH Lippe und Höxter. Das Forschungsvorhaben »mikrobiologische Sicherheitsbewertung von Lebensmitteln« stößt auf das allergrößte Interesse der Industrie.
Klaus Schmidt von Homan Feinkost aus Dissen sitzt mit im Forschungsboot Der deutsche Marktführer für kühlbedürftige Feinkostsalate hat auch schon Heringsfilets in Lemgo testen lassen. Aktuell geht es um Genusssäuren. Essig ist besser als jedes Konservierungsmittel, soll aber nicht mehr herausgeschmeckt werden. Weder Hochschule noch Unternehmen haben bislang eine Lösung, aber genau das fördert den Forscherdrang.
Hand in Hand mit heimischen Unternehmen wird auch im Getränkelabor der Professoren Rolf Hausdörfer und Stefan Witte gearbeitet. Einmal ist Phoenix Contact, ein andern Mal Mitbewerber Weidmüller Kooperationspartner.
Win-Win-Situationen liebt niemand mehr als die Politik, die sich gern als Moderator in allen Problemlagen sieht. Und wenn dann, wie im konkreten Fall, Unternehmen und Hochschule auch finanziell zusammenlegen, die Studierenden praxisnah lernen und am Ende einen Job schon vor der Abschlussprüfung haben, sind alle glücklich. Die Ministerin war begeistert. Rektoren und Ministeriale vergessen bei einem solchen Besuch dann auch mal die alten Streitfragen um Ressourcen und ewig knappe Mittel.
Fachhochschulen, sagte Frau Kraft, seien die idealen Partner für kleinere und mittlere Unternehmen in ihrer jeweiligen Region. FH-Professoren kämen selbst aus der Praxis. Im Gegensatz zu den mehr wissenschaftsorientierten Kollegen an den Unis hätten sie ein großes Verständnis für die besonderen Probleme der Unternehmen. NRW unterstütze anwendungsorientierte, auf wissenschaftlicher Grundlage arbeitende Hochschulen dreifach. 2004 ließ sich das Land die Kooperationen insgesamt 4,7 Millionen Euro kosten. Die einprägsamen Namen dafür sind zugleich Programm: TRAFO (transferorientierte Forschung), FuE (Forschungs- und Entwicklungsschwerpunkte) sowie KOPF (Kompetenzplattformen).
Dass das Geld gut angelegt ist, konnte Professor Ralf Hörstmeier in Bielefeld mit einem europaweit einmaligen Prüflabor belegen. Einige seiner Studenten widmen sich gerade den besonderen Belastungen von Personen, die bei Autotransporten in Rollstühlen oder auf Krankentragen enormen Stößen ausgesetzt sind. »Wir schaffen neue Arbeitsplätze« konnte Professor Reinhard Kaschuba gleich nebenan am Beispiel der heute in der Prozessautomation üblichen Bildverarbeitung belegen.
Die derzeit laufende Umstellung auf Bachelor und Masterstudiengänge, das immer noch heißeste Eisen für Hochschulpolitiker und Planer, drang bei soviel Praxistauglichkeit immer nur am Rande durch. Die Fachhochschulen würden von der Umstellung besonders profitieren, versprach die Ministerin. »An den Fachhochschulen wird gute Forschung betrieben«.
Für FH-Studenten werde es möglich sein, nach dem Bachelor an eine Universität zu wechseln. Die FH könnten umgekehrt durch gute Master-Angebote auch für Universitäts-Studenten attraktiv werden, warb sie für die europaweite Reform (Bologna-Prozess). Im Gegensatz zu Niedersachsen solle es in NRW keine von der Landesregierung vorgegebenen Quoten für den Zugang zu Masterstudiengängen geben, widersprach Kraft Vermutungen, wonach an der FH nur zehn Prozent, an der Uni 20 Prozent Kapazitäten für den zweiten (vermeintlich besseren) Masterabschluss freigehalten werden sollen. Die einzige Festlegung, auf die sie sich einließ, lautet: An Universitäten könnte am Ende jeder zweite, an FH jeder dritte Bachelor-Student eine Chance auf die Fortsetzung als Master erhalten.
Prompt hieß es bei der Opposition, die Ministerin sage nur die halbe Wahrheit. In Wirklichkeit betreibe die Landesregierung einen Stellenabbau an den Fachhochschulen. »Die Ministerin stellt zwar eine Erhöhung der Studienanfängerquote für Fachhochschulen in Aussicht, gleichzeitig wird aber Personal abgebaut: durch den Qualitätspakt, durch die Arbeitszeitverlängerung und auch durch den Globalhaushalt, der von 2006 an eingeführt wird«, sagte der wissenschaftspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Manfred Kuhmichel. Sein Rietberger Fraktionskollege Michael Brinkmeier ergänzte: »In der Praxis sieht es dann so aus, dass die Hochschulen gezwungen sind, einen internen Numerus Clausus einzuführen.«
Endgültige Klarheit wird es , so räumen Insider aus den Hochschulen ein, erst im Laufe der Jahre geben. 2007 beginnen alle als Bachelor. Viele gingen dann weit jünger als heute in die Wirtschaft und kehrten später als Masterstudenten noch einmal zurück. Welche Kapazitäten dann erforderlich sind, weiß noch keiner so recht.

Artikel vom 15.01.2005