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»Die Quelle der Jugend, sie rinnet«

Vor 200 Jahren starb Friedrich Schiller - Sein Ruf überstrahlte zeitweise den Goethes

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Gedenktage sind immer ein willkommener Anlass, in der Vergangenheit nach Gewährsleuten für die eigene Sicht auf das Hier und Jetzt zu graben. Friedrich Schiller, dessen Todestag sich am 9. Mai zum 200. Mal jährt, macht da keine Ausnahme. Also fragen auch wir: Was hat Schiller uns Heutigen noch zu sagen?
Johann Heinrich Wilhelm Tischbein schuf dieses imposante Gemälde Friedrich Schillers.

Von der Gentechnik bis zur postmodernen Nabelschau lässt sich alles bei dem schwäbischen Genie nachlesen. Angeblich. Man muss nur seine Sprache auf den neuesten Stand bringen, ein bisschen emphatischen Wortschwulst unter den Tisch fallen lassen, und schon ist er gebrauchsfertig, der »Schiller für Gestresste«, der »Schiller zum Vergnügen«, der »Schiller für Kinder«.
Die Kriegsherren. Ist George W. Bush der Wallenstein des 21. Jahrhunderts? Gewiss, am Erdöl hängt, zum Erdöl drängt doch alles (um Schillers größten Bewunderer zu variieren), doch über ein paar bemühte Analogien gelangt der Vergleich kaum hinaus.
Der alte Kontinent. Ist das Lied »An die Freude« die Hymne, unter der sich die ewig zerstrittenen Europäer zum einig Volk von Brüdern formen? Gewiss, wir betreten friedenstrunken in Brüssel unser Heiligtum, doch Jubelarien, auch wenn Beethoven die Melodie vorgibt, ersetzen kein Programm für den Umgang mit der Türkei.
Vergessen Sie's. Ein Mann aus dem Postkutschenzeitalter verfügt über kein Patentrezept zur Lösung moderner Probleme. Andererseits . . . 200 Jahre nach seinem Tod schenkt uns der empfindsame Dichter, der vor allem ein schöpferischer Denker war, mehr als manch anderer großer Geist aus jenen fernen Zeiten.
Mit dem »Werther« hat Goethe seine Zeitgenossen elektrisiert - aber die Reaktion auf Schillers »Räuber« sprengte jeden Rahmen: Die Theatersäle verwandelten sich in Hexenkessel. Und danach? Danach entschwand Goethe in der hohen Politik und löste sich in der Farbenlehre auf. Der Olympier musste, man hat das heute vergessen, ausgangs des 19. Jahrhunderts erst wiederentdeckt werden.
Ganz anders Schiller.
Der fast einsneunzig große Frauentyp mit den feuerroten Haaren und den Sommersprossen war das Idol des vorvergangenen Jahrhunderts. Der Liberalen wie der Nationalen -Ê Schillers 100. Geburtstag 1859 war ein Datum kaum weniger emotional aufgeladen als das von 1848. Dann drückte ihm auch die Arbeiterbewegung das Banner in die gegen Tyrannenwillkür erhobene Faust.
Und schließlich fand man, er habe das Bildungsbürgertum erfunden. Warum? Nun -Ê blättern Sie doch mal seine Antrittsvorlesung auf, gehalten am 26. Mai 1789 in einem pickepackevollen Saal der Universität Jena: Was heißt und zu welchem Ende (= Zweck) studiert man Universalgeschichte? Schillers Antwort: Nicht, um als »Brotgelehrter« Wissen zu versilbern. Erst der urteilsfähige Kenner innerer Zusammenhänge erhebt sich aus der Enge vorgefasster Meinungen und lächelt über die »Moden«, wie Schiller das Diktat der Meinungsmacher nannte.
Diese Einsicht allerdings ist nicht ganz billig zu haben. Sie kennen doch den Marquis Posa? Guter Mann. Forderte Gedankenfreiheit. Schiller aber demaskiert ihn - auch - als Ideologen: Eine andere Freiheit, als Posa sie will, wird er später nicht zulassen. Aus den Augen des Gutmenschen glotzt uns unversehens Robespierre an.
Bei Schiller lohnt sich das Kratzen an der Oberfläche. Denken Sie an das - nicht historische - Treffen der Maria Stuart mit Königin Elizabeth. Kein geringerer als Goethe degoutierte diese Szene: Da würden Damen zu Hyänen. Kein Wort wahr: Schiller erweist sich hier als Meister in der psychologischen Zeichnung zweier Rivalinnen um Macht und Männer. Und am Ende, im Angesicht des Todes, fällt alle Angst des Irdischen von Maria ab, die Leidenschaft verstummt, es wird ruhig und klar in ihr - zum Heulen schön.
Die Literatur als Trösterin. Da möchte man glatt religiös werden. »Welche Religion ich bekenne? Keine von allen, die du mir nennst! Und warum keine? Aus Religion.« Das Transzendente, sagt Schiller braucht kein Gesicht, weil es allzuleicht zur Fratze wird. Geben Sie's zu: Gerade haben Sie an religiöse Eiferer gedacht! An Islamisten? An den Pietcong?
Der Schöpfer stimmungsvoller Balladen, der seine Helden mit frommem Schauder in Poseidons Fichtenhain eintreten ließ, wollte nicht nur mit schönen Versen glänzen - ja! glänzen wollte er! der Ruhm lockte schon den jungen Regimentsarzt! -, sondern der Nachwelt auch als tiefer Denker in Erinnerung bleiben. Und weil sich, laut Schiller, in der Geschichte ewig gültige Prinzipien offenbaren, bildete sie auch sein bevorzugtes Studienfeld.
Was ist der Fiesco? Tyrannenmörder oder selber Despot? Schöpfer der Republik oder ihr Totengräber? Bezeichnend: Schiller hat der »Verschwörung« mehrere, übrigens gleichermaßen plausible, Schlüsse gegeben. Denn so wankelmütig der Held, so schwankend auch seine Bewertung in der Nachwelt - von der Parteien Gunst und Hass verzerrt . . .
Schillers Texte sind ein nie versiegender Brunnen. »Ein holder Born, in welchem ich bade.« Goethe. »Glaubt mir, es ist kein Märchen: Die Quelle der Jugend, sie rinnet wirklich und immer. Ihr fragt, wo? In der dichtenden Kunst.« Der Meister persönlich.
Braucht es mehr Gründe, Schiller noch heute zu lesen?

Artikel vom 19.01.2005