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Großer Aufwand für ein
delikates Stückchen Nichts

La Perla gilt als der Rolls Royce unter den Wäschemarken

Von Axel Botur
Bologna (dpa). Hier geht es um Millimeter. Zweieinhalb zu viel oder zu wenig verändern jeden BH, jedes Höschen und jeden Body gleich um eine halbe Größe. Dessousanfertigung ist Präzisionsarbeit. Bei La Perla in Bologna wird deshalb nichts dem Zufall überlassen. Denn das Familienunternehmen hat einen ausgezeichneten Ruf zu verteidigen. Es gilt als der »Rolls Royce unter den Wäschemarken«.
La Perla schneidert Dessous, Nachtwäsche, Bademode und seit 2002 Oberbekleidung.

Im Produktionsbetrieb in Ozzano, einem Vorort Bolognas, sitzen die Frauen mit den wohl schärfsten Augen der gesamten Emilia Romagna, der norditalienischen Region zwischen Po und Adria. Unter Licht betrachten sie die verschiedenen Materialien, die sich einmal zu einem BH zusammenfügen sollen. Und der besteht immerhin aus gut 35 Teilen. Alle außen liegenden müssen absolut farbidentisch sein. Aber was heißt eigentlich »unter Licht«? Fünf verschiedene Lichtquellen simulieren die Sonneneinstrahlung. Die Kundin, die viel Geld für ein Stückchen Nichts hinlegt, möchte ein einheitliches Grün und keine Farbsprünge. Darum der Aufwand.
Produktionsleiter Massimo Grazia vermag die Gäste häufig zu verblüffen, zum Beispiel mit einem riesigen Tisch, auf dem flach ausgelegt und übereinander die Stoffbahnen lagern. »Hier ruht sich der Stoff aus«, sagt Grazia geheimnisvoll. Er ruht sich aus? »Ja, und zwar einen Tag und eine Nacht.« Der Grund: Werden elastische Materialien Druck oder hoher Wärme ausgesetzt, etwa beim Bügeln, ziehen sie sich zusammen. Damit sie sich nicht erst nach dem Zuschnitt wieder zu voller Größe entfalten, brauchen sie eine Erholungspause. Denn wie gesagt, es geht um jeden Millimeter.
Dessous! Wer dabei an prickelnde Intimität denkt, findet sich bei La Perla stattdessen in einer riesigen, lichten Werkhalle wieder. Hier wird penibel vorgeschrieben, wo die Füße hingesetzt werden dürfen. Denn Gabelstapler kreuzen häufig die Wege. In Ozzano finden nur die ersten Arbeitsschritte statt. Hier werden die ankommenden Stoffe geprüft und zugeschnitten. Die Fertigstellung zum Wäschestück erfolgt ein paar Kilometer weiter, direkt in Bologna, seit 50 Jahren Stammsitz La Perlas.
Hier - gleich im Eingangsbereich - wird die Firmengeschichte erzählt. Zum Beispiel erfährt der Besucher anhand der gängigsten Werbemotive, wie sich das Bieder-Mieder zum sinnlichen Objekt entwickelte. Eine, die da kräftig mitgemischt hat, war Ada Masotti. Vor 50 Jahren zettelte die Besitzerin eines kleinen Miederwarenateliers eine Wäscherevolution an. Aus schützenden Rüstungen wurden delikate Kunstwerke. Die Signora brachte Farbe und Muster ins Spiel. Es war die Geburtsstunde La Perlas.
Trends kommen und gehen in der Unterwäsche längst nicht so schnell wie in der darüber liegenden Garderobe. Große Veränderungen setzen sich grundsätzlich langsamer durch. »Allerdings gibt es jede Saison ein paar modische Überflieger«, sagen Alberto Masotti (68) und Tochter Anna (31). Sohn und Enkelin der Gründerin führen heute die Geschäfte. Eine gewisse Parallelität sei schon deshalb wichtig, weil sich Dessous längst nicht mehr züchtig versteckten. Eine unter dem weit ausgeschnittenen T-Shirt hervorblitzende Spitzenkante oder der sichtbare BH-Träger gehören schließlich längst zu den pikanten Details weiblicher Kleidung.

Artikel vom 15.01.2005