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Aids-Angst des  Abgemagerten

Der Absturz des Paul Gascoigne

London (dpa). Eines der größten Sorgenkinder des englischen Fußballs liefert den Stoff für eine menschliche Tragödie. Paul Gascoigne ist am Tiefpunkt seines Lebens angekommen.

Vor kurzem wählten die Briten ein Bild zum denkwürdigsten Moment ihrer Sportgeschichte: Gascoignes Tränenausbruch im WM-Halbfinale 1990 gegen Deutschland. Der bullige Mittelfeldspieler war gerade verwarnt worden und wäre für das Finale gesperrt gewesen. Der »Mythos Gascoigne« war geboren. Es folgte der Absturz.
Gezeichnet von Depressionen, Drogen- und Alkoholeskapaden ist »Gazza« nur noch ein Schatten seiner selbst. Mit Bangen wartet er auf das Ergebnis eines HIV-Tests, der auf Anraten seiner Ärzte durchgeführt wurde. Die sind mit ihrem Latein am Ende, finden keine Erklärung, warum der 37-Jährige so ausgemergelt ist. Über Weihnachten hatten sie ihm nach einer Lungenentzündung wieder einmal das Leben gerettet.
Im vergangenen Juli war er dem Tod nur knapp von der Schippe gesprungen, als er mit einem Magengeschwür eingeliefert wurde. Wenige Tage zuvor erst hatte er das Krankenhaus nach einer Lebensmittelvergiftung verlassen. Dokumentiert sind außerdem zwei Drogenentzugskuren, Behandlungen gegen Alkoholsucht und Depressionen. »Ich wollte nicht mehr leben. Ich sah nur zwei Möglichkeiten: Sofort zu sterben oder mich zu Tode trinken.« Mit solchen Geständnissen ließ »Gazza« die Nation an seinem Niedergang teilnehmen. Die Engländer litten genauso mit ihm wie sie ihm auf dem Platz zugejubelt hatten.
Gascoigne verpasste einen würdigen Abgang als Sportler. Als ihn im englischen Profifußball kein Verein mehr wollte, brachte er sich beim FC St. Pauli ins Gespräch und heuerte beim chinesischen Zweitligisten Gansu Tianma an. Noch bis Oktober kickte der 57fache Nationalspieler als Spielertrainer beim Viertligaclub Boston United. Als er danach seine Karriere für beendet erklärte, wollte er seine ruhmlose Vergangenheit auch abseits des Platzes ablegen. Man möge ihn ab sofort »G8« rufen: »Das klingt groß.«

Artikel vom 14.01.2005