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Gespräche »verraten« viel - wenn die Ärzte zuhören

Linguisten und Mediziner erforschen die Angst


Bielefeld (sas). »Es lohnt sich, Patienten lange zuzuhören, ihre Gespräche nicht zu steuern, sondern ihnen zu überlassen, was sie wichtig finden und loswerden wollen.« Denn dann, haben Prof. Dr. Elisabeth Gülich und Dr. Martin Schöndienst erfahren, teilen die Patienten unbewusst viel über ihre Ängste mit. Dem Zusammenhang von Ängsten, Anfällen und Fehlverhalten haben die Linguistin, der Arzt am Epilpsie-Zentrum Bethel und der Soziologe Prof. Dr. Jörg Bergmann eine Tagung gewidmet.
Sie war Abschluss einer mehrmonatigen Arbeit von Wissenschaftlern und Medizinern verschiedener Disziplinen, in der es um Gemütserregungen und das klinische Erscheinungsbild von Angst ging. Mit zahlreichen Menschen mit Angststörungen sowie mit Epilepsiekranken, die vor einem Anfall eine Angst-Aura spürten, wurden lange Gespräche geführt, die aufgezeichnet und anschließend niedergeschrieben wurden. Die zugrunde liegende Vermutung war, dass in der Feinstruktur der Gespräche vieles »verraten« wird. Die Linguisten analysierten diese Interviews, die in Gilead III, Mara und dem Niedersächsischen Landeskrankenhaus Tiefenbrunn geführt worden waren, die Mediziner beurteilten die Aussagefähigkeit.
Deutlich wurde, dass es oft undefinierbare Ängste sind, die die Patienten umtreiben. Zugleich macht gerade dies es so schwer, über diese Ängste zu sprechen. Wie soll man jemandem erklären, dass man in Panik gerät und körperlich reagiert, wenn keine unmittelbare Bedrohung besteht? Wie soll man Unbeschreibliches beschreiben?
»Eine Patientin sagte, dass die Angst bei ihr mit einem Schlag da ist«, erzählt Gülich. Ebenso rasch ist die Angst fort: Wenn sie Kontakt mit anderen Menschen aufgenommen hat. Dafür kann es schon genügen, beim Nachbarn zu klingeln (und wieder fort zu sein, bevor der nur die Tür öffnen konnte). Andere Patienten erwähnen ihre Ängste nur nebenbei: »Ich wollte einfach nur angenommen werden, ich wollte einfach nur'n bisschen Geborgenheit, bei diesen ganzen Ängsten...«
Die Gesprächsanalysen helfen, zu verstehen, wie oft die Angst kommt, wann sie kommt und was sie vielleicht auslöst. Ebenso, hofft Schöndienst, sollen sie den Medizinern Rückschlüsse darüber ermöglichen, um was für eine Angst es sich handelt: um eine Angstkrankheit oder um die Angst, die zuweilen einem epileptischen Anfall vorangeht. »Es gibt Unterschiede in der Darstellung.« Und daraus ergeben sich dann natürlich unterschiedliche therapeutische Ansätze.

Artikel vom 14.01.2005