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Streit um Luftsicherheitsgesetz

Bundespräsident Köhler empfiehlt Gang zum Bundesverfassungsgericht

Berlin (AP). Bundespräsident Horst Köhler hat eine Verfassungsklage gegen das Luftsicherheitsgesetz empfohlen und sich damit klar gegen die Rechtsauffassung der Regierung gestellt. Das Staatsoberhaupt unterzeichnete das Gesetz zwar gestern, machte gleichzeitig aber erhebliche Bedenken in einzelnen Punkten deutlich.
Dabei geht es vor allem darum, ob als Terrorwaffe gekaperte Flugzeuge im Notfall abgeschossen werden dürfen. Die Bundesregierung wies die Einwände Köhlers als »irrig« zurück und kritisierte die offene Empfehlung eines Gangs nach Karlsruhe. Die Union kündigte an, in Kürze über eine Verfassungsklage zu entscheiden.
Das Luftsicherheitsgesetz war unter dem Eindruck der Terrorangriffe vom 11. September 2001 in den USA und der Entführung eines Motorseglers am 5. Januar 2003 in Frankfurt am Main entstanden. Die letzte Entscheidung über den Abschuss eines Terror-Flugzeugs soll danach künftig der Verteidigungsminister treffen.
Der Bundespräsident machte in Briefen an den Bundeskanzler und die Präsidenten von Bundestag und Bundesrat seine Bedenken im einzelnen deutlich. Sie betreffen insbesondere die Frage, ob es erlaubt sein kann, ein Passagierflugzeug zur Abwehr einer Bedrohung abzuschießen und damit den Tod Unbeteiligter in Kauf zu nehmen. »Damit wird Leben zu Gunsten anderen Lebens geopfert«, erklärte Köhler. Dies verbiete aber das Grundgesetz.
Der Bundespräsident warf auch die Frage auf, ob es verfassungsgemäß ist, die Bundeswehr zur Amtshilfe einzusetzen und nicht gleichzeitig der Leitung der zuständigen Landesbehörden zu unterwerfen. Er betonte, dass »jeder Betroffene auch unter Hinweis auf die von mir aufgezeigten Bedenken« vor das Bundesverfassungsgericht ziehen könne.
Dass er das Gesetz trotz seiner Einwände unterzeichnete, begründete Köhler damit, dass er »die übrigen Vorschriften des Gesetzes wegen der gesteigerten Bedrohungslage für dringend erforderlich« halte.
Bundesinnenminister Otto Schily erklärte, dass die Regierung die rechtliche Auffassung des Staatsoberhaupts zwar respektiere. »Wir halten sie aber für falsch«, sagte er. Das sei die Meinung des gesamten Bundeskabinetts. Die Regierung sei der Auffassung, »dass wir uns auf sicherem verfassungsrechtlichem Boden bewegen«.
Die Einschätzung Köhlers, bei dem Gesetz gehe es um eine Abwägung »Leben gegen Leben«, sei »irrig«, betonte der Minister. Ein Flugzeug dürfte nur abgeschossen werden, wenn das Schicksal der Passagiere ohnehin schon besiegelt sei. Diesen Fall halte er »nahezu für ausgeschlossen«. Schily nannte es »etwas ungewöhnlich«, dass Köhler zur Verfassungsklage ermuntert habe.
Der Minister geht fest davon aus, dass es zu einer Klage kommt. »Nach alledem, was ich weiß, haben sich schon einige gerüstet, um den Weg nach Karlsruhe zu gehen.«
Die Unionsfraktion will in der kommenden Woche über diese Frage beraten. Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender Wolfgang Bosbach sagte, die Entscheidung werde aber erst nach Abstimmung mit den unionsregierten Ländern fallen. Eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Gesetzes sei nicht nur wünschenswert, sondern notwendig. »In einer Situation, in der es um Leben oder Tod geht, kann man sich nicht in einer verfassungsrechtlichen Grauzone bewegen.«

Artikel vom 13.01.2005