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Schlangestehen beim Präsidenten

Auch Kanzler musste warten - Köhler ließ sich viel Zeit für Fluthelfer

Von Ulrich Scharlack
Berlin (dpa). Der Chef der Bundesrechtsanwaltskammer hatte dem Bundespräsidenten schon vor zwei Stunden die Hand gereicht, da stand der Vorsitzende des Deutschen Kinderhilfswerks immer noch in der Schlange.

Horst Köhler und seine Gattin Eva nahmen sich bei ihrem ersten Neujahrsempfang gestern im Berliner Schloss Charlottenburg Zeit für ihre Gäste. Am Ende dauerte die Zeremonie eine Stunde länger als geplant - auch weil Köhler besonders den Helfern dankte, die sich noch vor Tagen in Südostasien um die Opfer der Flutkatastrophe gekümmert hatten.
Die 250 Geladenen aus allen nur denkbaren Bereichen der deutschen Gesellschaft waren sichtlich gespannt auf den immer noch Neuen in Deutschlands höchstem Staatsamt. Viel länger als vom Protokoll pro Neujahrswunsch einkalkuliert, plauderte der eine oder andere mit Köhler, der sich auf die Gespräche aber auch gern einließ. »Bei den anderen Bundespräsidenten war es so, dass wir uns mitunter schon sehr lange kannten«, sagte die ehemalige Bundestagspräsidentin Annemarie Renger (85) - eine Veteranin von Neujahrsempfängen und heutige Präsidentin des Malteser Hilfsdienstes. »Bei Horst Köhler waren wir jetzt schon sehr neugierig.«
Die Politiker bildeten die Schlusslichter in der langen Reihe. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder, der für 12 Uhr geladen war, musste sich eine dreiviertel Stunde in Geduld üben. Der Händedruck und der Austausch der Glückwünsche für das neue Jahr fielen zwischen Präsident und Kanzler aber betont knapp aus. Schröder drehte schnell ab. Das Verhältnis zwischen beiden gilt nicht als das beste, nachdem Köhler sich im Herbst 2004 gegen den Regierungsplan stemmte, den 3. Oktober als arbeitsfreien Feiertag abzuschaffen.
Letzter war CSU-Landesgruppenchef Michael Glos. Da hatte sich das Kabinett schon bereitgestellt, um für das obligatorische Gruppenbild mit dem Präsidenten zu posieren. Schröder lud Glos, der mit seiner Kritik an CDU-Chefin Angela Merkel vor einer Woche für Schlagzeilen gesorgt hatte, ein, sich doch gleich zu dem Regierungsteam hinzu zu gesellen. »Der verhält sich doch so regierungsfreundlich...«, rief Schröder in die Runde. Glos wehrte dankend ab.
Aber auch 60 Bürger waren geladen, die sich besondere Verdienste um Kinder, Alte und Kranke erworben haben. Es waren auch Menschen dabei, die einfach nur Bürgersinn gezeigt hatten - wie ein Ehepaar aus dem Ort Zorge im Harz. Es betreibt ehrenamtlich das dortige Schwimmbad, das eigentlich geschlossen werden sollte.

Artikel vom 12.01.2005