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Leitartikel
Rote Träume trotz der Flut

Nur Mutter
Erde bleibt ganz ruhig


Von Rolf Dressler
Mutter Erde, »unser« Mikro-Ma- kro-Winzling in der grandiosen Unendlichkeit und Einsamkeit des Alls, zieht seine Bahn. Unbeirrbar. Mit einer Präzision, die immer und immer wieder nur einen Zauber auslösen müsste: die Ehrfurcht vor jenem überirdisch Großen, das der kleine, unvollkommene Mensch Schöpfung nennt.
Unser blauer Planet also dreht sich um die eigene Achse seit seinem Entstehen. Und der Homo sapiens, das, wie man sagt, höchstentwickelte Intelligenz-Wesen auf dem »Raumschiff Erde«? Arttypisch kreist sein Sinnen und Trachten vorwiegend darum,
- wie er Vorteile gewinnen kann
- und welche Versprechungen, Tricks und Winkelzüge persönlichen, möglichst erklecklichen wirtschaftlichen oder politischen Zusatznutzen verheißen,
- kurzum, was den materiellen, ideellen und ideologischen Zielen am stärksten förderlich ist.
Mutter Erde und ihr Schöpfer beweisen beträchtlichen Langmut. Im Übermaß lassen sie er- staunliche Nachsicht walten gerade mit uns oft ziemlich rauhbeinigen zweibeinigen Bewohnern.
Auch jetzt wieder das altgewohnte Bild: Kaum scheint das Entsetzen über die Flut-Tragödie in Südost-Asien da und dort zumindest punktuell abzuebben, erhebt die Hydra von Todfeindschaft, Hass und roher Gewalt abermals ihre Feuerköpfe.
Schon droht zum Beispiel in Sri Lanka, dem früheren Ceylon im Kolonialbesitz Großbritanniens, ein hauchzartes Hoffnungspflänzchen im gewohnten Schlachtenlärm untergepflügt zu werden. Ebenso rasch, wie über den Jah- reswechsel 2004/2005 eine Aussöhnung zwischen Singhalesen und Tamilen immerhin in Reichweite zu rücken schien, verflüchtigt sich der Gedanke an ein Ende des blutigen, jahrzehntelangen Bürger- und Partisanenkrieges schon wieder.
Vergessen sind die Tage unmittelbar nach der unfassbar verheerenden Seebeben-Welle, als die Todfeinde von gestern einander in allergrößter Gefahr halfen, als wollten sie niemals wieder auch nur eine einzige Waffe gegen den anderen richten, sondern fortan in Frieden und Freundschaft zusammenleben. Aus diesem Leuchtsignal an die ganze Welt aber wird nun wohl (wieder) nichts. Schon verbeißen sich Regierung und militant abtrünnige Tamilen in heftige Machtkämpfe wie eh und je.
Das gibt zu schlimmsten Befürchtungen Anlass. Denn: Die »Befreiungskrieger« der »Tamil Tiger« waren und sind berüchtigt wegen ihrer außergewöhnlichen Brutalität. Mehr als 30000 Tote forderte ihr Wüten bis heute. Und was auch derzeit wieder gern ab- sichtsvoll »übersehen« wird: Die »Tamil Tiger« sind Erz-Marxisten, träumen nach wie vor längst tot- geglaubte Revoluzzer-Träume.
Gleichwohl sagte Deutschlands Außenminister und Sri-Lanka-Reisender Joschka Fischer soeben namentlich auch den Tamilen pauschal umfängliche und dauerhafte Flutkatastrophen-Hilfen zu.
Nur Mutter Erde ficht's nicht an.

Artikel vom 12.01.2005