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Der Tiger ist wieder hungrig

Dariusz Michalczewski: Erst floss der Schweiß am Berg und jetzt im Ring

Von Oliver Kreth
Hamburg/Danzig (WB). Weit weg vom Lärm der Welt hat er sich wieder nah dran gekämpft. Seit dem Training in den schneebedeckten Bergen der Hohen Tatra meldet die Waage schon wieder 82 Kilogramm. Nur noch fünf Pfund bis zum Limit des Halbschwergewichts, seiner persönlichen Richtschnur seit 14 Profijahren.
Sein nächster Gegner: Fa- brice Tiozzo (Frankreich).

Doch der Mann, der sich das auferlegt hat, genießt diese Quälerei nur noch bedingt. »Das wird hart für mich«, sagt Dariusz Michalczewski, »nach so langer Pause bin ich noch nicht sicher, dass ich da hinkomme.« Was für ein seltsames Ziel aber auch. Der Berufsboxer mit Wohnsitzen in Danzig und Hamburg möchte an einen Punkt zurückkehren, an dem er lange gewesen ist. Mehr als neun Jahre war der »Tiger« Champion nach Version der World Boxing Organisation (WBO). Bis ihn der Mexikaner Julio Cesar Gonzales im Oktober 2003 durch Punktentscheid entthronte. In der Hamburger Color-Line-Arena wurde Michalczewski dennoch gefeiert, weil er die erste Niederlage im 49. Profikampf in allen Ehren akzeptierte. Rührender hätte der Abschied des wohl spektakulärsten Boxers mit deutscher Lizenz nicht ausfallen können.
Vom Aufhören aber will der vielfache Börsenmillionär nun nichts mehr wissen. Am 26. Februar ist er mit dem amtierenden Champion der World Boxing Association (WBA), dem Franzosen Fabrice Tiozzo, zum Duell im Ring verabredet. Schauplatz ist wieder Hamburg, wo er noch immer mehr geliebt wird als sonstwo. Profikampf Nr. 50 wird Michalczewski noch einmal eine Millionenbörse einbringen. Doch darum geht es nicht primär. Auch nach seiner kürzlich besiegelten Scheidung von Ex-Gattin Dorota hat der boxende Geschäftsmann vor allem in Polen genug Besitz für einen sorglosen Ruhestand behalten, was ihn von einem Großteil seiner Innungskollegen unterscheidet.
»Ich boxe nicht wegen Geld«, sagt Michalczewski, »sondern weil ich es will. Ich habe Bock auf diese Quälerei.« Also rannte er mit Konditionstrainer Maciej Moizysek durch die Berge um Zakopane, als hinge sein Leben davon ab. Pumpte Eisen im Kraftraum, zählte die Kacheln auf dem Grund des Schwimmbades. In der Judohalle knallt er den Medizinball an die Wand und übt beim Schattenboxen Schlagkombinationen.
Vielleicht liegt eine Flucht darin, denn das alles sind Anforderungen und Qualen aus einer Welt, die er kennt. Sie schieben das neue Leben, das er bald anfangen müsste, noch etwas hinaus. Für ihn aber sind diese Exerzitien weiter »eine harte Soldatenschule«, die ihm Dinge über ihn selbst vermitteln: »Ich brauche das, es kristallisiert meinen Charakter.« Tief drinnen ist der Sensible davon überzeugt, »dass ich noch nicht erwachsen genug bin. Deshalb brauche ich diese Zeit. Ich kann sehr viel überlegen bei solchen Einheiten, man kommt zu sich selbst zurück. Sonst wird man zum Schwein und vergisst all die Dinge, die nichts mit Geld zu tun haben.«
Zu diesen Worten passte das schlichte Sporthotel. Nicht immer kam dort aus den Duschen heißes Wasser. Für Michalczewski aber, der seit 1984 etwa zwanzigmal nach Zakopane gekommen ist, zählte das alles wenig: »Für mich ist Komfort eine gute Atmosphäre. Hier habe ich spezielle Menschen, die für mich alles tun.« Hier war Polens Volksheld auch nur ein Sportler unter vielen, die sich auf ihre Wettkämpfe vorbereiten - wie zum Beispiel sein Freund Adam Malysz, der Skispringer.
»Vielleicht ist er konditionell so gut in Form wie noch nie«, glaubt Christoph Busch, sein Physiotherapeut und Betreuer. Das ist aber nur die halbe Miete. Erst wenn Ende Januar die ersten von gut 100 Sparringsrunden absolviert sein werden, sind Hinweise auf seine boxerischen Reflexe möglich. Die hatten bei seinen letzten Titelkämpfen nachgelassen. Da ist es tröstlich, dass Michalczewskis Gegner auch kein taufrischer Champion mehr ist. Tiozzo hat 48 Profikämpfe und 35 Lebensjahre auf den Schultern - und liegt mehr als nur fünf Pfund überm Limit.
Was nach dem Duell mit dem Franzosen kommt, weiß Michalczewski noch nicht: »Man kann nur von Kampf zu Kampf planen und muss nehmen, was da kommt.« Es gab allerdings Boxer, die zu viel genommen haben.

Artikel vom 12.01.2005