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Leitartikel
Abbas weckt Hoffnungen

Eine Wahl
noch ohne
Nutz-Wert


Von Oliver Kreth
Das Ergebnis ist eindeutig. Die Diskussion, ob 62,3 Prozent der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 70 Prozent für den neuen Präsidenten ein ausreichender Vertrauensbeweis sind, müßig. Interessant ist jetzt nur noch, ob Mahmud Abbas die Hoffnungen, der er bei Palästinensern, Israelis und in der ganzen Welt geweckt hat, erfüllen kann.
Denn noch ist die Wahl für die Menschen zwischen Kiryat Shmona und Eilat ein Muster ohne Nutz-Wert, doch Abbas beginnt mit einer Reihe von Vorteilen. Erstens ist er nicht Jassir Arafat. Zweitens kennt er die Israelis gut. Er war einer der Architekten und Chefunterhändler der Friedensverträge von Oslo. Drittens verstand er während seiner kurzen Zeit als erster palästinensischer Regierungschef sehr gut, wie frustriert und verärgert die palästinensische Bevölkerung über die Inkompetenz, die zügellose Korruption und die mangelnde Transparenz und Kontrolle des Arafat-Regimes war. Und er hat wie wenige andere PLO-Mitglieder glaubhaft gegen die bewaffnete Intifada argumentiert.
Der in Safed Geborene und nach Damaskus Vertriebene befindet sich jetzt in einer auch für ihn lebensgefährlichen Zwickmühle. Er muss die radikale Hamas, die die »weitgehend freien und fairen Wahlen« (US-Präsident George W. Bush) boykottiert hatte, vom Nutzen einer friedlichen Koexistenz überzeugen. Die Millionen Diaspora-Palästinenser in den Lagern, von Arafat durchaus bewusst als Keimzelle neuer Gewalt und Lieferant selbsternannter Gotteskrieger genutzt, muss er vertrösten: Eine baldige Rückkehr ist unrealistisch.
Und er muss Israels Ministerpräsidenten Ariel Scharon, der gerade eine neue Regierung aus Likud, Arbeitspartei und ultra-orthodoxer Partei »Vereinigtes Thora-Judentum«, die die fünf Bücher Mose als offizielles jüdisches Grundbuch versteht, gegründet hat, dazu bewegen, den geplanten Abzug aus den 21 Siedlungen im Gazastreifen sowie aus vier weiteren Siedlungen im nördlichen Westjordanland auch in die Tat umzusetzen.
Denn nicht nur Abbas steht jetzt in der Friedenspflicht. Der verstorbene Jassir Arafat war auch für den US-Präsidenten kein Verhandlungspartner mehr, mit Abbas will Bush in Gespräche eintreten. So forderte der Texaner jetzt von Israel, die humanitären und wirtschaftlichen Bedingungen in den Palästinensergebieten zu verbessern. Denn eine Arbeitslosenquote von mehr als 50 Prozent und der auch daraus resultierende Fatalismus vor allem bei den jungen Männern - das Durchschnittsalter liegt unter 30 Jahre - war der beste Nachschub-Garant für die militante Hamas, die vor allem im Gaza-Streifen auch wegen ihres sozialen Engagements besonders geschätzt wird.
Abbas hat begründete Hoffnungen auf einen Frieden geweckt - auf beiden Seiten. Doch ohne die Mithilfe und Einsicht der Israelis wird er sie nicht erfüllen können. Dann bliebe diese Wahl nur eine weitere ungenutzte Chance.

Artikel vom 11.01.2005