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Auch Israel jetzt unter Druck

Palästinenser erwarten nach Mahmud Abbas« Wahl ein Ende des Leides

Von Carsten Hoffmann
Ramallah (dpa). Mit dem Amt von Jassir Arafat übernimmt der zum neuen Palästinenserpräsidenten gewählte PLO-Chef Mahmud Abbas eine schwere Aufgabe. Sein Volk erwartet ein Ende des Leids, während Israel den Stopp aller Angriffe vorschreibt.

Obwohl Abu Masen, wie Abbas respektvoll nach seinem verunglückten Sohn Masen genannt wird, nun eine große Mehrheit der Wähler hinter sich hat, muss er erst noch beweisen, dass seine Machtbasis für eine Kursänderung und einen Ausgleich mit Israel reicht.
Doch auch auf die neue Regierung des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon wächst nun der Druck, die politische Eiszeit im Verhältnis zur Palästinenserführung zu beenden. Auch US-Präsident George Bush fordert, Israel solle die Situation der Palästinenser erleichtern und Abzugspläne aus den Palästinensergebieten vorantreiben.
Mit dem Ergebnis der Wahl habe »Abu Masen ein Mandat, sein Programm umzusetzen«, bekräftigte einer seiner Wahlkampfmanager. Das sprechen radikale Kräfte ihm ab. Die Zahl seiner Wähler sei gemessen an der Gesamtbevölkerung gering, rechnete ein Vertreter der radikal-islamischen Hamas-Organisation vor. Die Hamas im Gazastreifen, die ihre Mitglieder zu einem Boykott der Wahl aufgerufen hatte, machte Abbas gestern dennoch ein Angebot zur Zusammenarbeit.
»Wenn die Waffen sprechen, schweigen alle anderen«, hat ein Führer der Al-Aksa-Brigaden Abbas bereits deutlich gemacht. Zugleich wird Abbas aber signalisiert, dass die militanten Untergrundkämpfer Teil der Polizei werden wollen. Mit Freudenschüssen und wildem Jubel zogen bewaffnete Anhänger von Abbas in der Wahlnacht durch Ramallah, um seinen Sieg zu feiern.
Israel bereitet sich darauf vor, mehrere Gesten zur Stärkung von Abbas zu machen. Dazu gehöre eine Freilassung von Häftlingen und Erleichterungen in den Palästinensergebieten, wird Außenminister Silwan Schalom zitiert. Schimon Peres, Vize-Ministerpräsident in Scharons neuer Koalition, spricht sich für eine faire Chance aus.
Die Palästinenser hoffen aber nicht auf freundliche Signale, sie erwarten einen schnellen Abzug der israelischen Truppen aus Palästinensergebieten. Das Wahlergebnis sei auch eine Botschaft der Palästinenser an die Welt, sagt Regierungschef Ahmed Kureia. »Wir hoffen, dass die ganze Welt uns beim Aufbau unseres demokratischen Systems und beim Erreichen unserer nationalen Ziele und der Beendigung des Leidens hilft«, sagt er.
»Es wird keine Demokratie ohne Freiheit geben«, kommentierte die Zeitung »Al-Hajat al-Jadida« gestern. An die Stelle von Arafat trete ein Präsident, der als Schrittmacher eines Friedens angesehen werde. Er müsse nun im Konflikt mit Israel unterstützt werden und dürfe keinesfalls als Schaf zwischen den Wölfen erscheinen.
Die israelische Tageszeitung »Haaretz« warnte vor zu großen Erwartungen an einen nachgiebigen Kurs an Abbas. Dieser hatte im Wahlkampf schärfere Töne angeschlagen. Abbas sei ein »Arafat im Anzug«, schrieb das Blatt. »Er mag nicht auf Tische springen oder lautstark einen Marsch von Millionen Märtyrern auf Jerusalem ankündigen, seine Forderungen an Israel unterscheiden sich aber nicht von denen Arafats.«
Bundespräsident Horst Köhler und die Bundesregierung haben die Wahl von PLO-Chef Mahmud Abbas als Hoffnungssignal begrüßt. Die Wahl markiere »einen historischen Moment in der Geschichte des palästinensischen Volkes« und sei ein »eindrucksvoller Beweis« für die weitere demokratische Entwicklung, erklärte Köhler in Berlin. Abbas' Bekenntnis zum Dialog und zur Gewaltlosigkeit mache vielen Menschen in aller Welt Hoffnung auf eine baldige Wiederaufnahme des Friedensprozesses mit den Israelis.

Artikel vom 11.01.2005