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Mit Hartz IV viel mehr Möglichkeiten

»Arbeit plus« kümmert sich um Einzelschicksale - Radloff: »Am Teuto keine soziale Eiszeit«

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Armut per Gesetz! Mord am Sozialstaat! Die Arbeitsmarktreform verbreitet Schrecken allerorten. Fast immer zu Unrecht. Denn »Hartz IV« ist vor allem eines: hart, aber gerecht. Was zu zeigen wäre.
Rainer Radloff von »Arbeit plus in Bielefeld« ist mit Hartz IV zufrieden.Foto: Bernhard Pierel
»Zu uns sind seit dem 1. Januar ein paar Menschen gekommen, die laut wurden oder resigniert geweint haben«, berichtet Rainer Radloff. Der Geschäftsführer der brandneuen Arbeitsgemeinschaft »Arbeit plus in Bielefeld« und seine Mitarbeiter nehmen sich Zeit für jedes Einzelschicksal, und Radloff garantiert: »Dass jemand aus seiner Wohnung geworfen wird, gar wegen 97 Cent, wie aus Paderborn berichtet, ist bei uns ausgeschlossen.« Am Teuto ist nicht die soziale Eiszeit angebrochen - vielmehr gilt das Motto: Fördern und fordern.
Bislang galt: Wer seinen Job verlor, erhielt zunächst Arbeitslosengeld, was ungefähr wie eine Versicherungsleistung anzusehen ist: Man hat eingezahlt, also soll auch Geld zur Überbrückung der (Kurz-)Arbeitslosigkeit fließen. Danach jedoch gab's Arbeitslosenhilfe - unter Umständen bis zum Lebensende. Und in vielen Fällen - besonders bei Akademikern -Ê auch mehr, als eine einfache Kraft bekam, die voll arbeitet. »Das war nicht gerade ein Anreiz, sich auf dem Markt umzusehen«, sagt Radloff. »Schlimmer: Es ist sozial ungerecht.« Prinzip des alten Systems: »Karteileichen, um die sich niemand mehr kümmerte und die mit Geld ruhiggestellt wurden.« Mit Geld, wohlgemerkt, dass man dem Steuertopf entnahm.
Damit hat Hartz IV aufgeräumt. Wer jetzt über einen längeren Zeitraum finanzielle Unterstützung will, muss dafür etwas leisten: Er unterschreibt eine Eingliederungsvereinbarung. Das ist so etwas wie ein Vertrag, und wenn der Klient seinen Teil nicht erfüllt, kann das ALGII (Arbeitslosengeld) auf 30 Prozent des Normalsatzes gekürzt werden, und bei Jugendlichen gibt's sogar nur noch Wohngeld.
Das hört sich zuerst nach Abbau des Sozialstaats an, aber vor die Vertragsunterschrift hat der Staat den Fallmanager gesetzt: »Unsere Mitarbeiter kümmern sich um individuelle Bedürfnisse, so dass en detail festgelegt werden kann, welche Hemmnisse die Eingliederung in den Arbeitsmarkt verhindern«, versichert Radloff.
Wer's braucht, macht eben den Kettensägeschein. Im Ernst: Da hat einer keine Ahnung, wie er Arbeit und Kindesversorgung unter einen Hut bringen soll. Ein anderer ächzt unter hohen Schulden - Beratung tut not. Jugendliche sind überrascht, dass sie sich - zum ersten Mal im Leben -Êeinem Chef unterordnen müssen. Und der einst Drogenabhängige hat gar keine Ahnung mehr, wie es im Betrieb zugeht. »Vielfach wissen unsere Klienten gar nicht, welche Qualifikation ihnen Chancen eröffnet -Êunter tatkräftiger Mithilfe des Kandidaten räumen wir Hemmnisse aus dem Weg.« Passgenaue Vermittlung ist das Ziel, was auch dem Arbeitgeber Sorgen nimmt: »Wir informieren ihn, wen er da einstellt.«
In Bielefeld leben etwa 17 000 ALGII-Empfänger, noch einmal so viele (so rechnen die Experten) sind als Angehörige unmittelbar von den neuen Bestimmungen betroffen. Etwa die Hälfte werde sich relativ problemlos, nach wenigen Qualifizierungsmaßnahmen, vermutlich ohne Fallmanagement in den Arbeitsmarkt eingliedern lassen, schätzt Radloff. Für schwer vermittelbare Klienten sind die Ein-Euro-Jobs eine Option - soweit sie gemeinnützig sind und keine bestehenden Arbeitskräfte vom Markt drängen.
600 dieser Ein-Euro-Jobs gibt es in Bielefeld, maximal 1200 können es werden. Besonders ehrgeizig: »In diesem Jahr wollen wir von ÝArbeit plusÜ erstmals jedem Jugendlichen ein Angebot machen, und dann soll das zum Dauerzustand werden, dass jeder Jugendliche versorgt ist«, kündigt Radloff an. Das kostet. »Wir haben für 2005 vom Bund 33 Millionen Euro für unsere Arbeit bekommen, doppelt soviel, wie in den Jahren zuvor«, erklärt der »Arbeit plus«-Chef. »Damit haben wir erheblich mehr Möglichkeiten.«
Das Prinzip von Hartz IV: Der Langzeitarbeitslose muss sich tummeln, erhält aber auch jede Unterstützung von Profis. Derzeit hat »Arbeit plus« 220 Mitarbeiter (davon 60 Fallmanager), doch die Zahl soll aufgestockt werden, bis Vermittler und Klient im Verhältnis von 1:150 stehen, bei Jugendlichen gar 1:75. Vor Hartz IV galt 1:800 als normal . . .
Das Prinzip von Leistung und Gegenleistung - fördern und fordern -Êzeichnet einen ersten Silberstreif an den Horizont. »Das hebt das Selbstbewusstsein des Klienten, freut den Arbeitgeber und nützt der Wirtschaft - und damit uns allen.«

Artikel vom 10.01.2005