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Bilder und Briefe aus der Hölle von Warschau

»Oneg Schabbat«: Ausstellung zeigt Fotos und Texte von verzeifelten polnischen Juden

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Erschütternde Texte, unter Lebensgefahr aufgenommene Fotos, historisch wertvolle Dokumente: Oneg Schabbat, das Untergrundarchiv des Warschauer Ghettos gehört zum Weltkulturerbe. Ausgewählte Dokumente werden jetzt in Bielefeld gezeigt.

Unter dem Tarnnamen »Oneg Schabbbat« (Freude am Sabbat-Treffen) schufen polnisch-jüdische Intellektuelle um den Hostoriker Emanuel Ringelblum während der Zeit der deutschen Besatzung in Warschau eine einzigartige Sammlung: amtliche Bekanntmachungen, persönliche Erfahrungsberichte, Fotos, Ausweise, Lebensmittelkarten und vieles mehr. Was bis zur Liquidierung des Ghettos in zwei Wellen (Dezember 1942 und April/Mai 1943) zusammenkam, wurde an drei Stellen im Boden vergraben; nur zwei Bestände, die heute im Jüdischen Historischen Institut (Warschau) aufbewahrt werden, fand man nach dem Krieg wieder.
Besonders aussagekräftige Dokumente, die das Leiden der halben Million gepeinigter Juden sichtbar machen, werden von diesem Sonntag, 11 Uhr, bis zum 12. Februar im Kleinen Saal im Erdgeschoss der Volkshochschule (VHS) im Ravensberger Park gezeigt. Bielefeld ist der elfte Ort, an dem das Material Licht auf ein dunkles Kapitel europäischer Geschichte werfen soll. Treibende Kraft ist der Verein zur Aufarbeitung der Geschichte der Wehrmacht, der von Besuchern keinen Eintritt erhebt, aber hofft, dass sich die Schau und das ambitionierte Rahmenprogramm durch den Verkauf von Katalog (14 Euro) und DVD (10 Euro) tragen werden.
Nicht einmal ein deutscher Bundespräsident (Roman Herzog, 1994) war in der Lage, den Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto (19. April 1943) von der umfassenden Erhebung in der polnischen Hauptstadt (1. August 1944) zu unterscheiden. Die oft mit großer Geste verkündete »Verantwortung vor der Geschichte« verrinnt meist kläglich im Treibsand des Halb- und Unwissens.
Der Verein möchte mit seinen jährlichen Veranstaltungen rund um den Holocaust-Gedenktag (27. Januar) ein Zeichen zur Völkerverständigung auf der Basis fundierter Geschichtskenntnisse setzen. Im nächsten Jahr wird auch wieder der Preis für Schüler und Studenten vergeben, die sich unter regionalen Aspekten mit der NS-Zeit beschäftigen. Heinz Deppermann und Klaus Rees vom Vereinsvorstand haben Schulen angeschrieben und bereits Rückmeldungen erhalten: »Die Ausstellung lässt sich perfekt in eine Unterrichtseinheit im Fach Geschichte integrieren«, sagt Deppermann.
Der Bezug zur heimischen Region lässt sich in diesem Fall gleich doppelt herstellen: Der SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei Jürgen Stroop, unter dessen Befehl 1943 etwa 400 000 Warschauer Juden in die Vernichtungslager transportiert wurden, stammt aus Detmold. Und Heinrich Klaustermeyer, ein auf mehreren Fotos aus dem Ghetto abgebildeter grausamer SS-Offizier, war Bielefelder. 1965 verurteilte ihn eine Strafkammer des Landgerichts zu neunmal lebenslanger Haft; Klaustermeyer starb 1976 im Gefängnis.
Die Ausstellung »Oneg Schabbat« ist bis zum 12. Februar an folgenden Tagen geöffnet: montags bis samstags, jeweils 8.00 bis 20 Uhr, sonntags nur bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Artikel vom 08.01.2005