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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Täglich erreichen uns neue Schreckensmeldungen aus Südostasien. Zur Wochenmitte war die Zahl der Menschen, die durch die Flutkatastrophe ums Leben kamen, bereits auf über 200 000 gestiegen. Möglicherweise ist diese Angabe beim Erscheinen dieser Zeitung schon wieder überholt und muß nach oben korrigiert werden. Nicht auszuschließen ist ferner, daß sich Seuchen ausbreiten und weitere Todesopfer fordern.
Wie Gott so etwas zulassen kann, zumal es wieder einmal in der Mehrzahl die Ärmsten trifft, ist in diesen Tagen eine oft zu hörende Frage. Niemand kann sie beantworten. Keiner vermag darin einen Sinn zu erkennen oder zu erklären, warum es im Gesamtplan Gottes, den ein Mensch nun einmal nicht ergründen kann, sogar notwendig sein könnte, daß eine Zerstörung solchen Ausmaßes geschieht.
Es gibt zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren: Entweder man wechselt über ins Lager des Atheismus und kündigt Gott seinen Glauben auf, und wer dort vorher schon angesiedelt war, fühlt sich in seiner Leugnung Gottes bestätigt. Oder aber man wird sehr demütig und macht sich bewußt, daß der Mensch, auch was seinen Verstand und sein Fassungsvermögen angeht, ein sehr begrenztes Wesen ist.
Überdies lenkt die Frage, wieso Gott etwas für uns Schreckliches zulassen kann, von einer äußerst unbequemen Wahrheit ab: Das meiste und das größte Leid, das sich sehr wohl auch in Zahlen niederschlägt, fügen die Menschen sich nämlich selber zu. Belege dafür sind nicht nur die Weltkriege mit ihren zig Millionen Toten, sondern ebenso kriegerische Auseinandersetzungen, die in den Medien oft nur am Rande vorkommen und weit weniger präsent sind als Naturkatastrophen, zumal wenn sie solche Dimensionen erreichen wie die in den Ländern am Indischen Ozean.
Im Sudan wurden bisher zwei Millionen Menschen getötet, und über vier Millionen verloren ihre Heimat. In Angola tobte ein ähnlicher Krieg, der 1960 begann. Wenigstens eine Million Menschen kam dabei um und über vier Millionen wurden heimatlos. Im Kongo verloren seit 1998 zwischen drei und fünf Millionen Menschen entweder durch direkte Kriegshandlungen oder durch Kriegsfolgen ihr Leben, und auch da sind Flüchtlingsschicksale vergleichbarer Größenordnungen hinzuzurechnen. Dies sind aber nur herausgegriffene Beispiele, die durch andere zu ergänzen wären, um das niederschmetternde Ergebnis zu vervollständigen.
Dies müßte zu der Einsicht führen, daß der gute Wille des Menschen nicht weit reicht und seine Fähigkeit, Konflikte auf vernünftigem Wege zu lösen, sehr unterentwickelt ist. Es untermauert die biblische Erkenntnis, daß die Menschheit der Erlösung bedarf, sich aber nicht selber erlösen kann.
Warum Gott Naturkatastrophen zuläßt, bleibt sein Geheimnis. Aber in diesem Geheimnis ist sehr wohl eine Botschaft enthalten. Denn es entzaubert den menschlichen Machbarkeitswahn, und dazu gehört auch das manchmal allzu naive Vertrauen in Frühwarnsysteme. Denn wenn die Natur wirklich aus den Fugen gerät, dann kann sich herausstellen, daß Sicherheitsvorkehrungen nicht mehr Schutz bieten als Spinngewebe und von den Gewalten nicht ernst genommen werden.
Eine Sicherheit im strengen Sinne gibt es auf dieser Welt nicht - weder für die Völker und Kontinente noch im Leben des einzelnen Menschen. Was am Morgen noch als unumstößlich gilt, kann sich noch am selben Tage als ein trügerischer Schein erweisen.
Das ist ein notwendiges Eingeständnis. Es braucht indessen nicht nur zu Angst und Schrecken zu führen. Es kann vielmehr auch dankbar in Erinnerung rufen, daß wir Menschen von Vorgaben leben, die wir selbst weder geschaffen haben noch schaffen können, daß es zwar keine Sicherheit gibt, wohl aber gnädige Bewahrung, daß ein Unglück auch neue Kräfte freisetzen kann.
Die Hilfsbereitschaft angesichts dieser Flutkatastrophe ist groß und zum Teil beeindruckend. Auch das weist in eine richtige Richtung und könnte dauerhafter das Bewußtsein verändern. In der Not erkennen die Menschen, daß sie zusammengehören und eine Gemeinschaft bilden.
Aber gilt das denn nur in der Not und nicht auch dann, wenn sie vorüber ist?

Artikel vom 08.01.2005