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Von der Kulturmetropole in die Provinz? Für Hagen Enke ist das nicht die Frage. »Theater ist Theater. Die Abläufe sind überall gleich«, sagt er. Dennoch hat er nach nur kurzer Zeit Unterschiede ausmachen können: An der Komischen Oper sei er nur ein Teilchen in einem komplexen Räderwerk gewesen und zu Beginn überhaupt nicht wahrgenommen worden. Am Theater Bielefeld sei das Gefühl von Zugehörigkeit über die Spartengrenzen hinweg stark ausgeprägt, lobt er das gute Klima.
»Im Übrigen finde ich weder Bielefeld noch das Theater provinziell. In der Stadt kann man sich wohlfühlen, was auf Berlin nicht in jedem Fall zutrifft«, sagt der gebürtig aus einem Harzer 900-Einwohner-Dorf stammende Enke.
Früh zeichnete sich bei ihm die musikalische Laufbahn ab. Mit 15 wechselte er auf ein Internat mit musischer Ausrichtung -Ê heute das Landesmusikgymnasium Sachsen-Anhalt. Nach Abitur und Armeedienst nahm er in Berlin ein Studium in Chordirigieren an der Hanns-Eisler-Hochschule für Musik auf und schloss ein Zusatzstudium im Fach Orchesterdirigieren an. Von der Musikhochschule ging's 1998 an die Komische Oper, zunächst als Assistent des Chordirektors, später als dessen kommissarischer Vertreter.
In dem Einspartenbetrieb mit seinem 60 Mitglieder starken Chor sammelte Hagen Enke Erfahrungen, die ihm nun in eigenverantwortlicher Stellung zugute kommen, wobei ihm neben der künstlerischen Leitung auch die organisatorische Disposition obliegt.
Mit der Einstudierung neuer Produktionen beginnt Enke zeitig. »Um sie danach schlafen zu lassen«, sagt der erfahrene Chorleiter, der jetzt schon mit seinen 26 Chormitgliedern am »Don Carlos« arbeitet (Premiere ist am 19. Februar). Was das gesangliche Niveau seiner Mannschaft betrifft, so ist er voll des Lobes: »Meinen Vorgängern ist es gelungen, weise Personalentscheidungen zu treffen.« Er könne auf gleichem Niveau weiterarbeiten und müsse seine Ansprüche nicht zurückstellen.
Indes meint Enke, eine »szenische Befangenheit« beim Chor bemerkt zu haben - im Vergleich zur Komischen Oper, wohlgemerkt. Szenisches Spiel stelle für ihn aber ein wichtiges Mittel dar, um einen musikalischen Ausdruck zu produzieren. Enke: »Das muss auf der Bühne Hand in Hand gehen.« Deshalb liegt ihm viel an einer engen Zusammenarbeit mit Regisseuren. Eine Gratwanderung zweifellos, wie er einräumt und gespannt der Zusammenarbeit mit Werner Schroeter entgegensieht, der nach einer vielbeachteten »Butterfly« in Bielefeld den »Don Carlos« inszenieren wird.
Dass er im Vorfeld einer Opernproduktion auch eine rezeptive Arbeit zu leisten hat, hält Hagen Enke für selbstverständlich. Kenntnisse der kulturgeschichtlichen Hintergründe wirken sich nicht zuletzt auch auf die Interpretation des jeweiligen Stücks aus. Dass der musikalische Leiter einer Produktion das letzte Wort zu sprechen hat, will Enke indes nicht anfechten. »In Bielefeld habe ich jedoch die Möglichkeit, den jeweiligen Dirigenten auch menschlich viel besser kennen zu lernen. Das erleichtert mir meine Arbeit. In Berlin hing ich diesbezüglich viel stärker in der Luft«, so der 37-Jährige.
Der Zweifel sei dennoch sein ständiger Begleiter. »Das ist kein bequemer Beruf, aber es macht mich glücklich, etwas geben zu können. Das empfinde ich als ein Privileg«, betont er.

Artikel vom 08.01.2005