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Als fliegender Postbote in der Heimatstadt

Die Jobs der Professoren (Folge 7): Literaturwissenschaftler Dr. Wolfgang Braungart


Bielefeld (sas). Ohne Nebenverdienst kamen auch die Studenten von einst kaum über die Runden. Zu denen, die einen Ferienjob hatten, gehörte auch Prof. Dr. Wolfgang Braungart, der an der Universität Neuere Deutsche Literaturgeschichte und Allgemeine Literaturwissenschaft lehrt.
»Ich war Postbote in meinem Heimatstädtchen Mülheim an der Donau«, erzählt Braungart lachend. 2000 Einwohner hatte das Städtchen; darauf auf wenig Arbeit zu schließen, wäre aber falsch: »Das war Mitte der 70er Jahre, damals war das Postaufkommen noch hoch, es gab ja kaum andere Medien. Und telefonieren war vielen zu teuer.« Was für Post seine Mitbürger bekamen, interessierte Braungart kaum: »Offen sind ja nur Postkarten. Und Urlaubsgrüße sind ja nicht das Interessanteste.« Zumal sie zu einem großen Teil aus Südtirol gekommen seien, wohin es seine Landsleute offenbar gerne ziehe. Da war es für den angehenden Germanisten, der in Gießen, Zürich und Braunschweig studierte, schon amüsanter zu sehen, wer in dem 2000-Seelen-Städtchen Post von einem einschlägig bekannten Versandunternehmen in Flensburg bekam... »Das konnte man an den Umschlägen bald erkennen.«
Als nett empfand es Wolfgang Braungart, dass ihm mancher Mülheimer mal ein Stück Kuchen oder im Hochsommer etwas zu trinken vor die Tür stellte. Ganz konfliktfrei blieb sein Postjob allerdings nicht: »Ich bin immer gerannt, habe das Austragen der Briefe quasi als sportliche Ertüchtigung gesehen.« Damit aber war er viel schneller als die Briefträgerin, die sonst seine Tour hatte. Was wiederum zu der Überlegung führte, dass ihre Stundenzahl doch reduziert werden könne...
Ab 1980 war Braungart in der komfortablen Situation, an der Kunsthochschule Braunschweig - er studierte auch Kunstgeschichte - eine Hilfskraftstelle zu haben. Sie bot nicht nur ein regelmäßiges Einkommen: »Ich hatte viel Spielraum zur Eigeninitiative und habe dort die empirische Sozialforschung kennengelernt.«
Sehr anspruchsvoll gelebt hat der Student Braungart nicht: »Eher sehr spartanisch.« Als Kind aus einer großen Familie sei er auch gar nichts anderes gewöhnt gewesen. Sein verdientes Geld hat er denn auch nicht für Kleidung, Auto oder Vergnügungen ausgegeben: »Ich habe immer Bücher gekauft und hatte am Ende meines Studiums schon eine Bibliothek mit 3000 bis 4000 Büchern.«
Und so machte es ihm - zugunsten der Literatur - auch nichts aus, bei kunstgeschichtlichen Exkursionen mit einem Freund im Wald zu übernachten. »Als wir uns morgens im Fluß gewaschen haben, sind wir aber von einem Förster erwischt worden«, lacht er. Nachdem der sich vergewissert hatte, dass die beiden jungen Leute alles ordentlich hinterlassen hatten, drückte er ein Auge zu.

Artikel vom 14.01.2005