06.01.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Das Wort zum Dreikönigstag

Von Pfarrer Dr. Dr. Markus Jacobs


»Heute ist Weihnachten« - sagen unsere östlichen Verwandten. Und wenn Weihnachten ein Familienfest ist, dann feiern und schenken wir mit! So oder ähnlich könnte man den Zugang zum heutigen Festtag auch beschreiben. Heute wird nämlich in der Kirche das zweite Weihnachtsfest begangen. Mal trägt es diesen Namen »Epiphanie«, mal übersetzt man dieses griechische Wort und spricht von »Erscheinung des Herrn«, mal nennt es der Volksmund »Heilige Drei Könige«. Wichtig ist nicht der Name, wichtig ist: Unsere östlichen Familienangehörigen feiern Weihnachten! Und wenn die eine Hälfte der Familie feiert, sollte die andere dies auch tun.
Den Unterschied könnte man vereinfacht so beschreiben: Stellen wir uns vor, ein Kind wird geboren. Bei uns würde man in den kommenden Jahren den Tag als Erinnerung feiern, an dem dieses Kind das Licht der Welt erblickte. Man könnte aber genau so gut den Tag begehen, an dem das Kind aus der Klinik endlich zu Hause ankommt und alle es sehen können.
Dieser Vergleich hinkt - wie jeder Vergleich. Aber er möchte verstehen lassen, dass das heutige Weihnachtsfest eher von der Frage geleitet ist, wann denn die Menschen endlich richtig mitbekommen haben, dass Gott geboren war? Wann haben sie es endlich angemessen beantwortet? Und dieser Besuch der Weisen aus fernen Ländern an der Krippe, ihre kostbaren Gaben, ihre Anbetung, war eben eine ganz andere Güteklasse als das Vorbeischauen irgendwelcher unmaßgeblicher Hirten.
Diesen Tag, angesetzt auf den 6. Januar, wählte sich der Großteil der frühen Kirche als Hauptfest des Weihnachtsgeheimnisses aus. Gemeint sind jene Kirchen, die wir heute mehrheitlich als Orthodoxe oder Ostkirchen bezeichnen. Fast alle Kirchen in der ursprünglichen Wiege der Christenheit liegen ja von uns aus gesehen im Osten. Aber wenn wir es in der Sprache des »Familienfestes Weihnachten« sagen: Es sind unsere Verwandten im Osten. Wir mögen uns selbst für den Nabel der Welt halten, unsere Verwandten leben aber zumindest in dem Selbstbewusstsein, sogar besonders ursprungsverbundene Christen zu sein. Und tatsächlich: Ihr Weihnachtsfest am 6. Januar ist mindestens so alt wie das von uns begangene am 25. Dezember.
Warum lohnt es sich, Epiphanie einmal unter dem Gedanken der Verwandtschaft und ihres Festes der Liebe zu betrachten? Weil es unseren Blick sehr weitet und uns sogar bis in jene Gegenden schauen lässt, die gerade von den schrecklichen Ereignissen des Seebebens betroffen wurden. Denn die frühen (von uns »Ostkirchen« genannten) Christen waren ungeheuer ausstrahlungskräftig. Sie kamen innerhalb kürzester Zeit bis nach Indien. An der indischen (West-)Küste bildeten sie wahrscheinlich schon im ersten und zweiten Jahrhundert Gemeinden, die bis in unsere Zeit fortbestehen.
Gerade in den letzten zwei Wochen nimmt sich die Menschheitsfamilie angesichts des ungeheuren Leids im asiatischen Raum als eine große Einheit wahr. Es bleibt nicht nur bei Betroffenheit. Ein nie dagewesenes Beispiel der Hilfsbereitschaft ist die Frucht dieser wachsenden Einheit - Not schweißt zusammen! Sie hilft sogar, das Fest »Erscheinung des Herrn« besser zu verstehen. Es ist ja das Fest der weltweiten Ausdehnung der weihnachtlichen Botschaft. Es benennt den Moment, an dem die Botschaft der menschgewordenen Liebe die enge Umgebung der Dörfer um Bethlehem verließ: »Und sie (die Weisen aus dem Morgenland) zogen auf einem anderen Weg heim in ihr Land.« - Mt 2,12. Es ist eben nicht nur die Frage, »wann haben wir im engen Kreis durch Geschenke meine Liebe ausgedrückt«, wie wir es am 25. taten. Wir haben noch mehr Verwandte, auch sie warten auf die Botschaft, auf diese Geschenke der Liebe! Jede Spende setzt die Botschaft des heutigen Festtages in konkrete Taten um - denn es sind doch alles unsere Verwandten; es sind Kinder Gottes, die dort im Osten bis zu den Küsten des indischen Ozeans die Botschaft der Liebe feiern möchten. Sie warten auf unsere Weihnachtsgeschenke.

Artikel vom 06.01.2005