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Beziehungen der
besonderen Art

»Hautnah« mit Julia Roberts

37 Jahre nachdem er mit der »Reifeprüfung« Geschichte schrieb, hat Regisseur Mike Nichols wieder ein Sittengemälde der modernen Zeit skizziert: »Hautnah« ist ein harter, verstörender Film über Liebe und Betrug mit erstklassigen Hollywood-Stars wie Julia Roberts, Jude Law und Natalie Portman. Aber genauso, wie sich die Zeiten verändert haben, hat »Hautnah« nichts mehr von Optimismus und Unschuld der »Reifeprüfung«.

Nur der Anfang hätte kaum romantischer sein können: Dan, ein erfolgloser Journalist, der sich mit dem Schreiben von Nachrufen verdingt, aber mit dem lässigen Charme von Jude Law gesegnet ist, trifft mitten in London ein Mädchen. Genauer gesagt, trifft sie zuerst ein Taxi, weil sie, die Amerikanerin, beim Überqueren der Straße in die falsche Richtung schaut. Dan bringt sie ins Krankenhaus und mag danach nicht mehr von ihrer Seite weichen.
Das Mädchen nennt sich Alice und hat das Engels-Gesicht von Natalie Portman: unwiderstehlich und unschuldig zugleich, auch wenn sie Striptease-Tänzerin ist (allerdings im Film nie nackt zu sehen). Dan mit seinen zerknitterten Klamotten wirkt sympathisch und irgendwie kindlich-naiv. Ein Happy-end für zwei einsame Herzen? Weit gefehlt.
In der nächsten Szene, wer weiß wie viel Zeit später, ist Dan ein selbstsicherer Autor, der gerade seinen ersten Roman geschrieben hat - über das Leben von Alice. Obwohl er mit dem Mädchen immer noch zusammen ist, flirtet er bei Aufnahmen für das Buch-Cover mehr als ungeniert mit der Fotografin Anna, einer kühlen und unzugänglichen Schönheit, verkörpert von Julia Roberts.
Ein weiterer Zeitsprung. Dan verbringt seine Zeit damit, sich in freizügigen Internet-Chats als Frau auszugeben. Dort nennt er sich Anna und lädt Larry zu einem Rendezvous im weißen Arztkittel ins große Aquarium ein, einen Ort, an den die Fotografin tatsächlich oft geht. Es kommt wie es kommen muss - die beiden treffen sich, und der von »King-Arthur«-Star Clive Owen gespielte Macho-Arzt findet den Schlüssel zu Annas Herz.
Das Quartett ist nun komplett, und genauso kaleidoskopartig folgen viele weitere Episoden mit Affären, Tränen und derben Wortgefechten. Die vier gehören nämlich zu jener seltenen Spezies, die zwar hemmungslos betrügen, aber nicht darüber lügen kann. Und dann über jedes Detail redet. Die schockierend schmutzige Sprache des gefeierten Bühnenstücks von Patrick Marber, auf dem der Film basiert, war vor allem für Roberts ein Problem: »So redet keiner!«, widersprach sie oft. Owen hatte es einfacher, er spielte bereits den Dan in der Bühnenversion.
»Hautnah« seziert das Liebesleben der Epoche und ist damit gewissermaßen die »Reifeprüfung« der heutigen Zeit. Und als Folge eine Art »Anti-Reifeprüfung«, so wie unsere Jahre in vieler Hinsicht die Anti-60er sind: aufgeklärt, tabulos, desillusioniert. Die Helden hinterlassen den Eindruck von einer bemerkenswerten Ziellosigkeit und Leere, außer wenn es darum geht, einen Rivalen zu vernichten. Von der Verbissenheit, mit der einst der junge Dustin Hoffman in Nichols' Meisterwerk gegen die erdrückenden Konventionen rebellierte, fehlt hier jede Spur. Wogegen soll man heute, da die Liberalen die Spießer längst in die Defensive gedrängt haben, noch aufbegehren?

Artikel vom 13.01.2005