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»Das kann sich keiner vorstellen«

Helfer aus Thailand zurück - Malteser werden Eindrücke nie vergessen

Von Arved Gintenreiter
Frankfurt/Main (dpa). Erschöpft und angespannt wirken die Gesichter der elf aus Thailand zurückgekehrten Psychologen und Rettungsassistenten. In der Ankunftshalle des Frankfurter Flughafens wird ihnen gestern Morgen zunächst auf die Schulter geklopft, dann folgen Umarmungen.

Der Blick der Rückkehrer bleibt aber starr, das Handeln mechanisch - die Eindrücke aus dem Katastrophengebiet werden die Mitarbeiter des Malteser Hilfsdiensts lange nicht vergessen. »Dabei sind uns die schlimmsten Bilder noch erspart geblieben«, sagt der 43-jährige Wolfgang Höfges, ein ehrenamtlicher Krisenhelfer, sonst Landesbeamter in Düsseldorf.
»Es ist etwas paradox. Aber eigentlich sind wir ins Paradies geflogen«, berichtet Norbert Dietrich, ein Mainzer Helfer. Bei der Ankunft in Phuket sei die Verwüstung aus der Luft nicht zu erkennen gewesen. »Das war ja nur ein schmaler Streifen an der Küste. Wenige Meter weiter ist die heile Welt.« Am Ziel angekommen verschlug es ihm die Sprache. »Das kann sich keiner vorstellen, keine Kamera vermitteln.« Auch Höfges sagt: »Ich bin jetzt seit 25 Jahren im Einsatz. So etwas habe ich noch nie gesehen.«
Eine Woche lang halfen die überwiegend hessischen und rheinland-pfälzischen Mitglieder eines Kriseninterventionsteams im Auftrag des Auswärtigen Amtes in Südthailand. Sie suchten in den Krankenhäusern nach deutschen Urlaubern, versorgten sie mit Medikamenten und Verbandsmaterial und bereiteten, wenn nötig, den Transport nach Deutschland vor. »Die Bandbreite ging von leichten Schürfwunden bis zu schwersten Verletzungen«, berichtet Höfges. Überrascht war der ehrenamtliche Helfer von den Zuständen in den Krankenhäusern. »Das ist fast europäischer Standard.« Zudem würden europäische Touristen bevorzugt behandelt - vor den Einheimischen.
Die Opfer seien überwiegend traumatisiert. »Die meisten haben Angehörige verloren. Die sind am Boden zerstört«, erzählt Höfges ins Leere blickend. Für die weiterhin vermissten Touristen hat er wenig Hoffnung. »In den Krankenhäusern waren keine Europäer mehr.« Wer nicht wegen eines Fehlers auf den Vermissten-Listen stehe, werde wohl nicht mehr lebend aus dem Urlaub zurückkehren.
Bei der Bearbeitung der Vermissten-Fälle half der 44 Jahre alte Norbert Dietrich aus Mainz. Er saß inmitten eines Berges von Ausweisen verschollener Deutscher und zögerte bei jedem einzelnen Dokument, es in die Hand zu nehmen. »Ich habe den Pass aufgeschlagen und erst einmal den Sand von der Seite gewischt.« Zum Vorschein kamen ein Bild und ein Name - der Pass bekam eine Identität.
Nach wenigen Stunden musste Dietrich die Arbeit beenden. »Ich hatte jedes Mal Angst, das Bild eines Bekannten zu entdecken.« Die Helfer im verwüsteten Gebiet kommen seit Tagen an ihre Grenzen.
An den Alltag in Deutschland denken die Rückkehrer noch nicht. »Erst einmal freue ich mich riesig auf meine Familie«, sagt Dietrich. Er habe in Thailand gesehen, wie wichtig neben Psychologen das private Umfeld bei der Aufarbeitung des Erlebten ist. Nach kurzer Pause stellt er abwesend fest: »Die Thailänder bekommen keine psychologische Hilfe. Denen bleibt nur die Familie.«
Joachim Gardemann, Leiter des Kompetenzzentrums Humanitäre Hilfe der Fachhochschule Münster, hat seinen Einsatz noch vor sich. Der 49-Jährige fliegt heute nach Trincomalee im Osten Sri Lankas, um dort ein Zelthospital zu errichten. »Wenn die Cholera ausbrechen würde, das wäre das schlimmste anzunehmende Szenario«, meinte Gardemann gestern.

Artikel vom 06.01.2005