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Für Pietät bleibt freiwilligen Helfern kaum Zeit

Ein schwieriges Unterfangen: Zehntausenden Toten der Flutkatastrophe eine Identität geben

Galle (dpa). Die gerade geborgenen Leichen liegen neben dem Kricket-Stadion der verwüsteten Stadt Galle unter freiem Himmel, das Gesicht der Frau ist nach über einer Woche im Wasser nicht mehr zu erkennen. Trotzdem macht ein verzweifelter Beamter ein Foto.

Auf den Bauch der Toten hat er einen Zettel mit der Nummer 372 gelegt - eine irreführende Zahl, alleine im Bezirk Galle im Südwesten Sri Lankas wurden seit der Katastrophe mehr als 4100 Leichen gefunden. Fast 3000 davon wurden begraben, ohne identifiziert werden zu können.
Mit zittrigen Händen nimmt ein Freiwilliger die goldenen Ohrstecker aus den schwarz verfärbten Ohren der Frau, er braucht Minuten dafür, dann nestelt er die Uhr vom Handgelenk der Toten. Mit einem Messer schneidet er ihr eine Haarsträhne für eine DNA-Probe ab. Ein Arzt inspiziert die Leiche. Vielleicht haben die vielen Toten den Vorrat an Pietät aufgebraucht. Kinder mit weit aufgerissenen Augen, die sich entsetzt die Hände vor den offenen Mund halten, schauen zu.
Die Erwachsenen sehen nicht minder schockiert aus, auch wenn sich die Szene alleine in Galle schon tausendfach wiederholt hat. Sie pressen sich Tücher an die Nase, der Geruch ist nicht auszuhalten. Dann machen sich die Helfer an die nächste Leiche, die furchtbare Aufgabe wird im Akkord erledigt. Selbst wenn es meist ein hoffnungsloses Unterfangen ist: Die vielen Menschen, die Angehörige vermissen, sollen anhand von Fotos, Schmuck oder anderen Merkmalen die Chance bekommen, Gewissheit über das Schicksal ihrer Liebsten zu erlangen.
Unter den Trümmern, in Tümpeln und Lagunen der einstigen Urlaubsregion lägen noch etliche Leichen, sagt der Verwaltungschef des Bezirks, Gunasena Hewavitharana. »Manche sind so weit verwest, dass wir nicht einmal mehr Fingerabdrücke nehmen können.« In den ersten zwei Tagen nach der Katastrophe wurden die Toten in das einzig funktionierende Krankenhaus nach Karapitiya gebracht, dann wurde die Seuchengefahr zu groß.

Artikel vom 05.01.2005