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Leitartikel
Palästinenser wählen

Abbas vor der zweiten Chance


Von Friedhelm Peiter
Der Nahe Osten kann vor einer neuen Entwicklung stehen. Die Palästinenser wählen am Sonntag den Nachfolger von Jassir Arafat im Präsidentenamt. Favorit ist der amtierende PLO-Chef Mahmud Abbas. Der 69-Jährige setzt sich seit Jahren für eine friedliche Lösung des Konflikts mit Israel ein.
Im Wahlkampf bedient er jedoch geschickt alle Gruppierungen. Neben dem ernsthaften Friedensdialog mit Israel verspricht er den palästinensischen Flüchtlingen ein Rückkehrrecht. Er versagt den bewaffneten Kämpfern der Hamas oder der Arafat-Brigaden nicht seinen Respekt, stellt aber gleichzeitig immer wieder klar, dass der bewaffnete Kampf die Palästinenser einem eigenen Staat keinen Schritt näher gebracht hat. Abbas versäumt es aber auch nicht, Militäraktionen der Israelis in Flüchtlingslagern scharf zu verurteilen. Und wenn man den Meinungsumfragen trauen kann, wird der 69-jährige am kommenden Sonntag als Sieger aus den Wahlen hervorgehen.
Der politischen und wirtschaftlichen Unterstützung der USA, der Europäischen Union und der UNO darf Abbas sich sicher sein. Deren Friedensplan sieht am Ende eines Prozesses einen unabhängigen Palästinenser-Staat vor. Doch dafür muss Abbas Bedingungen erfüllen. Er soll dem Terror ein Ende bereiten, die Korruption eindämmen und für mehr Demokratie in den Palästinensergebieten sorgen. Es ist die Hoffnung der führenden westlichen Politiker, dass Abbas nach seiner Wahl mit einer neuen Garde junger Politiker diesen politischen Kurswechsel einleiten kann.
Als Ministerpräsident ist Mahmud Abbas 2003 mit seiner Politik des Ausgleichs mit Israel am übermächtigen Jassir Arafat und dessen Gefolgsleuten bereits einmal gescheitert. Wenn Abbas als Präsident etwas in Richtung Frieden bewegen will, muss er zunächst einmal Erfolge vorweisen, die den Palästinensern zumindest das tägliche Leben erleichtern.
Doch dafür braucht er die Israelis, deren neue Regierungskoalition unter Ariel Scharon und Shimon Peres weitere Friedensverhandlungen nach dem einseitigen Abzug aus dem Gazastreifen von einem Ende des bewaffneten Kampfes der Palästinenser abhängig macht.
Welche Kompromisse Scharon einzugehen bereit sein wird, um Abbas die nötige politische Handlungsfähigkeit im eigenen Lager zu verschaffen, ist erst dann einzuschätzen, wenn die Scharon-Koalition den Gaza-Abzug erfolgreich vollzogen hat.
Arafat ist tot, die alte Garde seiner PLO-Kampfgefährten sitzt allerdings in Ramallah noch immer in Schlüsselpositionen. Und hier liegt das eigentliche Problem.
Abbas ist mit seinem Friedenskurs in doppelter Hinsicht abhängig. Ohne Unterstützung der Israelis wird er keine Fortschritte erzielen können. Im eigenen Lager muss er sich gegen die Extremisten durchsetzen, die dem bewaffneten Kampf weiter den Vorzug geben.
Sonst wird Abbas ein zweites Mal scheitern.

Artikel vom 06.01.2005