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Angelo brachte ein schwaches Lächeln zustande, als wäre er gerührt. »Also gut, warum nicht? Ich habe noch nicht genügend Bargeld zusammen. Es läuft zwar vieles, aber ich kann dir momentan nicht genügend ausbezahlen. Das Gemälde ist ein Original und legal erworben worden. Die Herkunftsunterlagen sind lückenlos. Es wird auch ohne eine Velázquez-Expertise eine Summe im Kunstmarkt erzielen, die meine Verpflichtungen dir gegenüber mehr als genug abdecken würde.Die einzige, jedoch lösbare Schwierigkeit ist die: Du musst das Gemälde im Ausland verkaufen. Da mein Ruf in der Branche ein wenig angekratzt ist, hätte ich mit einigen Problemen zu kämpfen. Es ist daher nur logisch, dir die reizvolle Aufgabe zu überlassen.«
»Wer weiß alles davon?«
»Der Restaurator; der Anwalt aus Bologna ahnt etwas; zwei Freunde und É«
»É deine Geliebte! Oder irre ich?«
»Ich wollte dich nicht verletzen.«
»Ach was? Versuche jetzt bloß nicht den rücksichtsvollen Ehemann zu spielen. Außerdem, wie kommst du darauf, mich damit noch verletzen zu können?«
»Ich dachte É«
»Denk nicht! Es ist endgültig vorbei. Mach dir keine Hoffnungen. Ich bin nur noch daran interessiert, das wir in beiderseitigem Einverständnis die Scheidung beantragen.«
»Ist das wirklich dein Ernst?«
»Und ob. Außerdem möchte ich heute noch schriftlich von dir haben, dass du mir das Gemälde aus Salerno überschreibst, jedoch eine Summe garantierst, die mindestens der Hälfte des Wertes unserer Eigentumswohnung in Venedig entspricht. Erst wenn ich das Geld in Händen habe, gehört die Wohnung dir. Bis dahin trägst du die laufenden Kosten. Darüber hinaus verlange ich ein Schmerzensgeld von dir.«
Angelo war im Gesicht wieder weiß geworden. »Von der Tugend der Bescheidenheit hast du dich wohl auch gleich befreit.«
»Natürlich. Und wenn ich so darüber nachdenke, fällt mir zu dem Schmerzensgeld glatt eine Lösung ein.«
»Worüber denkst du nach?«
»Es betrifft die Grafiken, die im doppelten Boden des Schrankes in Venedig lagerten. Deine eiserne Reserve! Ich habe notgedrungen zwei davon verkaufen müssen.«
»Ich habe es geahnt. Dann hast du ja im Markt schon Erfahrungen sammeln können. Was hast du denn dafür bekommen?«
»Ganz schön neugierig. Doch ich will daraus kein Geheimnis machen. Jedenfalls war es nicht genug, da einige davon, wie du sicher weißt, gefälscht, Pardon, keine Originale waren. Doch einige tausend Dollar waren damit zu holen.«
Angelo runzelte die Stirn und wiederholte: »É einige tausend Dollar? Wer hat sie dir abgenommen?«
»Ein sehr netter Herr einer bekannten Galerie hier in Mailand.«
»Verrätst du mir den Namen?«
»Wenn du mir den Namen deiner Geliebten nennst, mit der du vor wenigen Tagen auf der Via Montenapoleone lustgewandelt bist?«
»Woher weißt du É?«
»Du bist gesehen worden.«
Angelo rieb sich die Schläfen. »Von wem?«
»Das spielt keine Rolle. Wie heißt sie?«
»Sie ist die Tochter eines einflussreichen Antiquars und Kunsthändlers hier in Mailand. Sie und ihr Vater haben mir in den letzten Wochen bei der Lösung meiner Probleme sehr geholfen. Sie heißt Roberta und ist die Tochter von Jacopo Sannazzaro.«
Livia verspürte einen dumpfen Stich in ihrer Magengegend.
»Die Familie Sannazzaro«, fuhr Angelo unbekümmert fort, »weiß über alles Bescheid, und ich werde ihnen von unserem Treffen erzählen.«
»Tu das! Das fördert das Vertrauen in Eure Beziehung.«
Angelo legte seine Hand auf Livias Arm. Ihr wurde übel. Sie stand auf und ging ans Fenster, um frische Luft zu atmen. Die Nacht hatte sich längst über die Dächer Mailands gesenkt. »Mach bitte das Schriftstück fertig und stell die Unterlagen zusammen. Ich möchte gehen.«
»Hat das nicht Zeit bis morgen?«
»Morgen? Nein, jetzt!«
»Warum die Eile?«
»Die Beduinen kennen ein Sprichwort: Vertraue auf Gott, aber binde das Kamel fest!«
»Ach was. Du kannst hier bleiben. Wir können zusammen frühstücken.«
»Was würde Roberta dazu sagen?«
»Äh! Ja É nein É ich meine, es ist schon in Ordnung É«
»Was ist in Ordnung?«
»Das mit dem Frühstücken.«
»Das finde ich überhaupt nicht. Ich glaube, Roberta würde das auch so sehen. Liebe, Treue und Aufrichtigkeit wollen gelebt werden. Das geht nur, wenn bestimmte Grenzen nicht überschritten werden. Danke deinem Glücksstern, dass ich Nein sage!«
»Oh! Ich gebe auf É«
»Geh und mach jetzt das Schreiben und die Unterlagen für mich fertig.«
Wenig später, als Angelo wieder aus seinem Arbeitszimmer gekommen war, um Livia die gewünschte Erklärung und die Dokumente auszuhändigen, sagte sie, nachdem sie alles geprüft hatte, in sanftem Ton: »Um auf die Scheidung zurückzukommen: Informiere mich, wenn du mit dem Anwalt gesprochen hast. Die Geldfrage hat sich bis dahin hoffentlich geregelt.«
»Ich werde mir Mühe geben É«
Livia zuckte nur die Schultern.
Als er ihr die Tür öffnete, hob er noch einmal an. »Einen kleinen Moment noch. Du solltest wissen, was Jacopo Sannazzaro zu mir sagte, nachdem er dich auf dem Mercatone dellÕAntiquariato kennen gelernt hatte. Am Abend beschimpfte er mich: ÝDiese wunderschöne Frau, die ich von ganzer Seele bewundere, obschon ich in deinem und meinem Interesse gegen sie sein musste, hat das nicht verdient. O Angelo, Angelo! Du verdienst zu scheitern É!Ü«
Livias Augen glänzten, als sie erwiderte: »Sag ihm, ich bin ganz seiner Meinung É«
IV Ein Stuhl an der Tafel des Königs

Aus den Erinnerungendes Diego Rodríguez de Silvay Velázquez
Madrid 1648
Dass Federkiele ein höchst aufdringliches Kratzgeräusch produzieren, hört man erst, wenn man in einer stillen Stube darauf wartet, dass jemand mit seinen Schreibarbeiten zu Ende kommt. Bei den Bergen von Briefen und Aktenbündeln, die auf Diego de Acedos Tisch in mehreren Stapeln aufgehäuft sind, ist für mich nicht abzuschätzen, wie lange ich diese zirpenden, quietschenden, scharrenden und schabenden Misstöne noch zu ertragen habe. Aber er erzeugt sie mit Inbrunst.
Ich sitze auf einem Schemel in der kleinsten der Schreibstuben, die sich eineinhalb Treppen unterhalb der Sekretärsräume der Geheimen Hofkammer aneinander reihen. »Gut, dass Malpinsel keine solchen ohrenbeleidigenden Dissonanzen erzeugen! Sonst wäre ich lieber Philosoph geworden statt Hofmaler. Dann bräuchte ich mir hier nicht die Ohren zuzuhalten«, lamentiere ich, bekomme aber nur ein Hüsteln zu hören. Immerhin waren es bereits volle zwei Stunden, die ich beim allmächtigen Don Luis und seinem Sekretär Jesús-Antonio zugebracht habe. Die Schreiben seien schon geordert, es fehlten nur noch einige Anweisungen, hatte der umständliche Sekretär versichert. Und Unterschrift und Siegel unseres Souveräns kämen in der nächsten Stunde auf die noch ausstehenden Dokumente.
Unser König ist auf der Jagd; von seiner fehlenden Unterschrift auf meinen Briefen weiß er wenig. Aber ich weiß um den Gang der Bearbeitung und habe für mein weiteres Warten die verschwiegene Kammer von Diego de Acedo der Betrachtung der kostbaren flämischen Tapisserien in Don LuisÕ Vorzimmer vorgezogen. Diego ist der Hüter des königlichen Unterschrift-Stempels. An seinem Schreibtisch ist mein Ohr oft nahe am Puls des wahren Geschehens.
»Du und Philosoph! Da müsstest du auf die Fleischzuteilung aus der Hofküche verzichten und säßest als Diogenes jetzt in einer Tonne, großer Herr Vetter«, antwortet mir schließlich eine schnarrende Stimme hinter den Aktenbündeln. Die Bezeichnung ÝgroßÜ und auch den ÝVetterÜ lässt er so gedehnt wie doppelsinnig heraus. »Gegenüber einer Tonne ist meine Kammer schon ein nobles Angebot! Du kannst dich sogar an meinem Stövchen wärmen«, empfiehlt er mir und deutet mit dem Fuß auf den Kasten mit der kleinen Glutpfanne in der Ecke. »Und wer wird denn so empfindlich sein, dass ihn meine edle Schreibkunst belästigt? Worauf spitzt du so angestrengt dein Gehör? Bilde dir nichts ein! Hunde und Katzen hören noch viel mehr als du«, sagt er, »die hören sogar deinen Malpinsel fürchterlich knirschen.«
»Hör auf! Was willst du mir beweisen?«
»Dass du unbescheiden bist. Und die Tierseelen spüren am Malgeräusch, was für kritische Gedanken der Meister bei der Modellierung der schiefen Nasen und geschwollenen Lippen seiner Auftraggeber hegt. Wir Zwerge können das übrigens auch, wir hören manchmal die Denkgeräusche hinter den hochmütigen Stirnen der Riesen.«
Diego ist durch und durch kratzig, was man ihm bei seinem Gebrechen nicht übel nehmen darf. Aufgrund seiner Kleinwüchsigkeit wird er von den meisten Menschen unterschätzt; dabei ist er von einer unbestechlichen Geistesschärfe. Er durchschaut die Intrigenschmiede des Hofes, aber er wird nie bösartig, sondern behält stoischen Gleichmut. Ich vertraue ihm. Er verdankt seine Position und seinen Spitznamen El Primo, der Cousin, seinem dickleibigen Vetter Juan de Acedo y Velázquez, mit dem wiederum meine Familie mütterlicherseits weitläufig verwandt ist.
Die kritischen Spitzen unseres verwandtschaftlichen Disputs verbergen die freundschaftliche Zuneigung der beiden verschiedenen Diegos, die beide selbstbewusst sind und die oft hilfreiche Verbindung gern erneuern.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 28.01.2005