25.01.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 



Mit einer offenen und bitteren Verachtung sagte sie: »Was zu spät ist, ist zu spät. Als ich dich geheiratet habe, war ich mir eigentlich sicher, dass du ein ehrenwerter Mann bist. Ich habe mich getäuscht. Ich vermute außerdem, die andere Frau, mit der du zusammen bist, hat dich in diesem Punkt noch nicht durchschaut. Ich werde sie bei Gelegenheit - von Frau zu Frau, versteht sich - über deine Schwächen aufklären.«
Angelo sprang auf. »Untersteh dich! Das wirst du nicht tun!«
»Psst! Bitte sei leise. Die Ohren des Hauses É« erwiderte sie bissig.Angelo wischte sich die Stirn. Das schlechte Gewissen stand ihm so deutlich ins Gesicht geschrieben, dass selbst ein Fremder es dort erkannt hätte. Wie ein verwundetes Tier schritt er auf und ab. »Du weigerst dich also, meine guten Absichten überhaupt zur Kenntnis zu nehmen?«, sagte er mit dem veränderten Ton eines Mannes, dem bewusst wurde, dass die Zeit des Versteckspiels jetzt vorbei war.
»Dann lass mal hören«, sagte Livia mit Festigkeit. Sie nahm auf dem angebotenen Sessel Platz und sah ihn an.
Angelo nahm ebenfalls auf einem der Sessel Platz und mühte sich, seiner Frau direkt in die Augen zu blicken. »Du hast ja Recht, Livia. Ich habe mich dir gegenüber unmöglich benommen«, antwortete er mit einer Sanftheit, die eher aus seiner verfahrenen Lage geboren zu sein schien als aus wirklicher Einsicht. »Bitte verzeih mir, wenn ich dich verletzt habe.«
Als er ungelenk nach Livias Hand griff, zog sie die ihre zurück. »Das sind alles nur Worte. Ich will Taten É«
»Also, ich habe mich inzwischen von jeglichem Verdacht durch einen guten, aber teuren Anwalt rein waschen können. Wie du ja weißt, wurde ich gesucht. Ich wäre also Gefahr gelaufen, verhaftet zu werden, bevor ich meine Unschuld hätte beweisen können. Daher mein Abtauchen. Unsere Wohnung in Venedig haben sie sicher Tag und Nacht observiert. Eine Kontaktaufnahme mit dir in den letzten Monaten wäre zu riskant gewesen.«
Livia schüttelte ihren Kopf. »Daher rührt dein Schweigen? Auf diese Vermutung hin? Nein, nein. Das glaube ich dir nicht.«
»Du musst mir einfach glauben É«
»Hmm! Was ist mit dieser Reinwaschung? Seit wann bist du dir dessen sicher?«
»Über diesen Punkt besteht erst seit einer Woche Klarheit.«
»Was heißt das: Ýdiesen PunktÜ?«
»Es gibt in der Szene Menschen, die wütend auf mich sind, da ich Ross und Reiter gegenüber den Fahndern genannt habe. Das wird mir diese Mafia nie verzeihen. Im Gegenteil, die Verratenen werden versuchen, mir Schaden zuzufügen, wo immer es ihnen möglich ist. Die Gefahr von dieser Seite ist noch nicht gebannt.«
»Warum vergeudest du dann hier noch deine Zeit? Spazierst auf dem Mercanto dellÕAntiquariato herum, wo jeder dich sehen kann É«
Angelo blickte zur Seite. »Ich hatte noch eine wichtige Sache abzuwickeln, die für dich gedacht war É«
Livia traute ihren Ohren nicht. »Das glaubst du doch selbst nicht. Du bist ein gewissenloser Lügner und Betrüger!«
Angelo lief rot an. »Du nimmst dir einen Ton heraus, der mir nicht gefällt!«, donnerte er. »Einen Ton, den ich mir von keinem Menschen bieten lasse. Auch von meiner eigenen Frau nicht!«
»Ich bin nicht mehr deine Frau!«, brauste Livia ebenfalls auf. »Und eine betrogene Frau hat das Recht, ihren Mann einen Betrüger zu nennen! Und falls dir das noch nicht klar sein sollte: Deine Unaufrichtigkeit und deine Untreue haben unsere Ehe ruiniert. Und jetzt will ich von dir nur noch das, was mir zusteht. Erzähl mir also keine Märchen mehr.«
»Ich rate dir zu deinem Besten É«
»Es gibt nichts, was du mir raten könntest!«, fiel ihm Livia ins Wort. »Ich will zuallererst meinen Anteil an unserer Wohnung in Venedig zurück! In bar!«
»Es ist leicht, mich niederzuschreien, wenn ich keine Zeit habe, Antwort zu geben«, erwiderte er gereizt. Sanfter sagte er: »Ich möchte deinem Wunsch ja nachkommen.« Nach einer Pause des Schweigens fuhr er fort. »Um der alten Zeiten willen: Du musst mir einfach glauben. Lass mich wenigstens erzählen, worum es geht. Dann wirst du sehen, dass ich es aufrichtig meine. Darf ich dir etwas zu trinken bringen?«
Livia misstraute seinen Worten. Ihr Zweifel entsprang einer Sprunghaftigkeit seines Verhaltens, die sie auch in den letzten Tagen ihres Zusammenseins in Venedig an ihm beobachtet hatte. Seine plötzliche Offenheit, seine Nachgiebigkeit waren möglicherweise wiederum nur Teil eines neuen Verwirrspiels.
»Dann hol Papier. Wir werden es schriftlich fixieren.«
»Ich werde Papier holen. Doch zuvor möchte ich, dass du mir die nächsten Minuten ruhig zuhörst. Was ich dir sagen will, ist die Wahrheit - und zugleich eine Sensation.«
»Warum sollte ich mir noch Geschichten anhören?«
»Weil das Objekt, das ich dir überlassen werde, im Wert alle meine Verpflichtungen dir gegenüber weit übersteigt. Außerdem gebe ich zu, dass ich eine Beziehung zu einer anderen Frau habe. Ich möchte sie nicht gefährden.«
»Du willst dich also freikaufen!«
»Auch wenn ich immer noch unglaubwürdig erscheine, ich gestehe meine Fehler ein. Ich wäre froh, wenn ich sie wenigstens ein bisschen wiedergutmachen könnte. Gib mir die Chance dazu É«
Livia bewegte zweifelnd den Kopf. »Mit jeder neuen Sache, die du einleitest, reitest du dich tiefer hinein.«
»Gibst du mir die Chance?«
»Streng dich an. Es ist wahrhaftig deine letzte!«
Angelo hatte schnell nach ihrem Arm gegriffen und drückte ihn bedeutsam, bevor er begann É
»Es handelt sich um eine geheimnisvolle Nackte!« Livia erstarrte. Doch Angelo, dem die Verfänglichkeit seiner Ausdrucksweise sekundenschnell klar geworden war, kam ihrem Ausbruch zuvor. »Versteh mich richtig: ein Aktgemälde von hohem Wert!«
Sein Gesicht hatte einen ungewöhnlich angespannten Ausdruck angenommen, und seine Hand, mit der er das goldene Armband seiner Uhr hin und her drehte, zitterte etwas. Livia hatte ihre Hände übereinander gelegt und beugte ein wenig den Kopf, ohne ein Wörtchen zu entgegnen und ohne auch nur einen Moment mit ihren Augen von seinem Gesicht abzulassen.
»Als ich Anfang des Jahres nach Salerno fuhr«, begann Angelo. »sollte ich für einen guten Freund und Kunsthändler hier in Mailand ein Porträt ersteigern. Den Tipp hatte mein Freund durch eine kleine Anzeige einer Zeitung aus Neapel erhalten. Ein alter Mann mit Hut sollte es sein. Frühes 19. Jahrhundert. Für ein paar tausend Lire zu haben. Gekauft und restauriert wäre es hier in Mailand das Hundertfache wert - so sagte er mir. Es war eine leichte Aufgabe. Ich ersteigerte das Bild nicht, ich kaufte es, da ich der einzige Interessent dafür war É Ich stand also am Montagmorgen in diesem kleinen Laden von Renato Ravello an der La Rotonda in Salerno. Da waren Tische mit silbernen Gegenständen, Regale mit Büchern, auch mit einigen alten Büchern darauf und im Halbkreis waren etwa fünf, sechs verschieden große Staffeleien aufgestellt, die man mit Gemälden bestückt hatte. Die Menschen standen schon dicht gedrängt, als ich eintraf. Zuerst dachte ich, es wären alles Kauflustige, die sich da eingefunden hätten. Doch weit gefehlt. Es waren die Angehörigen des Verstorbenen, dessen Nachlass verhökert werden sollte. Niemand bot bei dem Bild mit. Alles starrte nur mich an, als wäre ich aus einer anderen Welt. In Salerno, so dämmerte mir, ist das Volk noch ärmer als in Neapel.«
»Das war zu meinen Zeiten anders É«, reagierte Livia unwirsch.
»Entschuldige! O je, ich hatte ganz vergessen É«, versuchte Angelo seine Bemerkung abzumildern.
»Hier gibt es nichts zu entschuldigen, Angelo. Salerno ist eine wunderschöne Stadt, und die Menschen, die dort leben, sind aufrichtig und ehrlich É«
»Den Eindruck hatte ich auch«, sagte er rasch. »Vor allem der Nachlassverwalter war von besonderer Ehrlichkeit und Zurückhaltung. Renato Ravello, ich erwähnte ihn schon, Inhaber des Ladens, kannte mich durch eine einzige Begegnung, die ich vor Jahren mit ihm hatte. Er schien erleichtert, als er mich sah. Dabei blickte er sich immer Hilfe suchend um. Die Konkurrenz, so meinte er, würde sich wohl verspäten. Da ich schon am Sonntag angereist war, konnte dies vielleicht zutreffen. Neapels Straßen mit dem Wagen zu überwinden ist einfach der blanke Horror.«
»Ist das die ganze Geschichte?«
»Keine Geschichte, Livia. Diesmal nicht. Was geschehen ist, entspricht der Wahrheit!«
»Das soll ich dir glauben?«, versetzte Livia, gab sich aber alle Mühe, ihrem Mann weiter zuzuhören.
»Als ich das Bild mit dem alten Mann gekauft hatte, fesselte ein Frauenakt meine ganze Aufmerksamkeit. Ein ziemlich dunkles, großes Leinwandbild in einem beschädigten Holzrahmen. Diese finstere, aber schön proportionierte Nackte wartete darauf, gekauft zu werden. Ravello fing sofort an, das Bild zu preisen. Der Nachlassverwalter wollte fünfhunderttausend Lire von mir. Kommt nicht infrage, sagte ich ihm. Ich gebe zweihunderttausend für das Bild. Ravello versuchte zu vermitteln. Er sagte: ÝDas ist zu wenig, Angelo, das ist nicht genug, dafür nehme ich es selbst! Gib ihm vierhunderttausend ÉÜ Ich bot ihm dreihunderttausend. Die Menschen um mich herum lächelten, und ich nahm das Bild mit. Das ist alles.«
»Alles?«
»Pardon, mein Engelchen! Ich hatte einen Akt gekauft, von dem ich noch nicht ahnte, dass die Dargestellte die schönste und wertvollste aller Frauen in dieser Welt sein wird.«(wird fortgesetzt)

Artikel vom 25.01.2005