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Was für ein attraktiver Besuch in meiner Galleria del Sole. Suchen Sie nach etwas Bestimmtem, Signora?« Der alte Fuchs hatte Livia bemerkt und schoss auf sie zu, wobei er sie von oben bis unten taxierte. Das verbindliche Lächeln, das folgte, konnte sie noch nicht aus der Reserve locken.
Livia nahm ihre Sonnenbrille ab. »Ich sehe mir am liebsten in Ruhe alles an, bevor ich Hilfe erbitte.«
»Oh, Signora, selbstverständlich. Ich habe fast alles. Was Sie hier sehen, ist nur die Spitze des Eisbergs, perdono, ein kleiner Teil meines Magazins. Kunstwerke aus fast sämtlichen Epochen und Weltgegenden befinden sich in meinem Besitz. Sehen Sie sich um É Sehen Sie sich in Ruhe um É Wenn Sie Fragen haben sollten É?«
»É dann werde ich auf Sie zukommen, Signore!«
»Immer zu Diensten É immer zu Diensten! Gestatten Sie mir nur eine Frage, Signora? Nur eine einzige Frage: Suchen Sie nach etwas Bestimmten?«
»Danke, Signore! Danke!«
Ein Blick genügte Livia. Bilder aller Epochen waren wie zufällig durcheinander gestellt, sodass der Eindruck einer reichhaltigen Fundgrube entstand. Der Stand quoll förmlich über von Gemälden, eingerahmten Zeichnungen und gedruckten Blättern. Das Strandgut aus den fleißigen Malerwerkstätten von Wer-weiß-woher, gestapelt, angelehnt, in überquellende Mappen geschichtet, mit Drahthaken an Schnüren baumelnd aufgehängt, manche Blätter von der Sonne schon gnadenlos beschienen, musste ein enormes Kapital binden, sollten nur einige Objekte bestimmbare Originale sein. Als ob sie ein blankes Stromkabel berührt hätte, so zuckte es durch Livias Hand. Sie hatte einen Rahmen umgedreht. Vor ihr, direkt in Augenhöhe, hing das Bildnis eines Jünglings, das in Venedig die Wand ihres Wohnzimmers geziert hatte.
»Das darf nicht wahr sein É«, sagte sie leise zu sich. Sie traute ihren Augen nicht. Doch es musste eine Kopie sein. Denn die Polizei hatte alle Gemälde abtransportiert. Doch wie kam diese Kopie hierher?
Das Bild schien Eindruck auf sie zu machen, daher pirschte sich der alte Fuchs wieder an Livia heran.
»Sehen Sie nur, wie prächtig die Farbakzente das dunkle Kostüm auflockern. Der rosige Ärmel, das leuchtende weiße Hemd und die gelblichen Handschuhe É«
»Wer ist der Künstler?«
»Signora, ich habe sofort gesehen, dass Sie etwas von großer Malerei verstehen. Sie haben ihren Blick auf das mit Abstand interessanteste Fundstück geworfen, das der ganze Markt heute zu bieten hat.« Sein Ton wurde vertraulich leise. »Wenn es auch kein eigenhändiger Tizian ist, so ist es nach Auffassung der Experten aus seiner Werkstatt, von der Hand eines seiner besten Mitarbeiter.«
»Dann haben Sie ja wahrhaftig ausgesorgt!«, meinte Livia.
Ohne darauf einzugehen, fuhr er fort. »Nun, das Bild hat tatsächlich etwas Geheimnisvolles. Sie hätten sehen sollen, wie die leuchtenden Farben herauskamen, als mein Kollege den Firnis erneuert hat. Wenn man es fachkundig reinigt, ist noch viel mehr zu erwarten. Die Leinwand ist uralt. Es trägt zwar kein Datum, aber es ist ohne Zweifel aus dem sechzehnten Jahrhundert. Sehen Sie nur, Tizian hat mehrere Porträts genau in dieser Art gemalt.«
Der alte Fuchs wies auf die Hand des Jünglings, die auf einer Steinbrüstung im Vordergrund ruhte. »Signora! Sie verstehen etwas von Kunst. Ihnen ist sicher schon aufgefallen, wie der Meister es verstanden hat, die Stoffqualität durch den Lichtglanz zu imitieren. Mal denkt man, man sieht Farbstreifen, und dann sieht man den Glanz von Brokatseide. Nur ein Meister schafft eine solche Augentäuschung. Es wirkt beinahe dreidimensional, wie die Armbewegung des Dargestellten aus dem Bild herauskommt.«
»Ich finde es einfach nur ansprechend, Signore. Nur mal zum Spaß: Was soll es denn kosten?«
»Aus Leidenschaft für die schönen Werke unserer großen Maler vergesse ich vollständig, dass ich Kaufmann bin, Signora! Ich habe es teuer erworben. Aber ich möchte, dass es jemand besitzt, der É«
»Wie viel?«
»Haben Sie echtes Interesse daran?«
»Mal sehen É«
»Wenn Sie es kaufen wollen, würde ich Ihnen entgegenkommen.«
»Meist sind mir die niedrigsten Preise immer noch zu hoch.«
»Nun ja É«
»É nur mal angenommen É«
Das Gesicht des Händlers erstarrte: »Sie, und nur Sie, Signora, bekommen es für zehn Millionen Lire!«
»Hmmm.«
»Das Bild ist es wert. Außerdem ist es direkt aus privatem Besitz übernommen und nicht amtlich registriert.«
»So, so!«
»Das ist kein zu hoher Preis für dieses Meisterwerk, Signora! Glauben sie mir. Ich stehe hier seit fünfzehn Jahren und bekomme nur ganz selten eine solche Qualität. Ich habe es erst gestern übernommen.«
»Zehn Millionen Lire für einen unbekannten Künstler?«
»Die Qualität des Porträts ist unbestreitbar, Signora. Tizians Porträts geben durch die Körperhaltung und den Gesichtsausdruck die Persönlichkeit der Dargestellten brillant wieder. Genau das hat Sie angezogen. Der vornehme Jüngling ist ja auch zum Verlieben. War es nicht so?«
»Wie man es nimmt. Doch es ist eben kein Tizian! Und zehn Millionen, nur weil es mir gefällt? Nun, ich werde es mir überlegen É Signore É?«
»Sannazzaro! Jacopo Sannazzaro.«
»Sehr freundlich, Signore Sannazzaro.« Livia tat so, als würde sie etwas überlegen. Sie hatte den Eindruck, als plane dieser Mann seine Verkäufe so sorgsam wie ein Maler sein Gemälde. Fünfzehn Jahre im Geschäft waren ja auch fast eine Ewigkeit. Er kannte dadurch sicher eine Menge Leute. Sie fühlte, dass er ihr bei der Suche nach Angelo Hinweise liefern könnte. Außerdem hielt sie den Zeitpunkt für sehr geeignet, selbst aktiv zu werden. »Signore Sannazzaro, Sie begegnen doch sicher vielen Verkäufern und Käufern. Ich selbst habe vor Jahren in Mailand einen älteren Herrn kennen gelernt, auch einen Kunsthändler. Ich wäre gern mit ihm wieder in Kontakt getreten. Vielleicht kennen Sie ihn und können mir weiterhelfen.«
»Oh! Sehr gern, wenn es in meiner Macht steht. Wie heißt der Mann?«
Livia sah ihn voll an: »Romano, Angelo Romano É«
Einen Moment lang schien es so, als würde er überhaupt nicht antworten. Dann holte er tief Luft, blickte zur Seite und sagte: »Tut mir leid, Signora É«
»Ich bin mir sicher, Sie kennen ihn!«, sagte Livia entwaffnend. »Warten Sie, ich habe ein Foto von ihm dabei«, setzte sie nach. »Es wird Ihnen helfen, sich zu erinnern.« Sie reichte ihm die Aufnahme, die Sannazzaro widerwillig entgegennahm. Er betrachtete das Foto eine halbe Minute lang. Seine gespielte Konzentration ließ ihn die Stirn noch deutlicher runzeln als sein offensichtlicher Widerwille.
»Mhm! Ich will da nicht hineingezogen werden, Signora É«
»É Vasari ist mein Name.«
Nervös geworden, blickte Jacopo Sannazzaro nach links und rechts, als befürchtete er, beobachtet zu werden. »Schön, Signora Vasari«, begann er mit gedämpfter Stimme, »das Dumme ist, dass Sie inzwischen schon die dritte Person sind, die versucht, mich über diesen Romano auszuhorchen.«
»Auszuhorchen? Mein Gott, hat denn der liebenswürdige Mann etwas Unrechtes getan?«
»Das wüsste ich auch gern etwas genauer«, sagte er und grinste breit, wobei eine Reihe gelber Zähne zum Vorschein kam.
Livia war inzwischen überzeugt, dass Sannazzaro sie dreist anlog. Sie versuchte seinen Blick zu fixieren, und mit einer kaum merklichen Neigung des Kopfes gab sie ihm zu verstehen, was sie von seiner Antwort hielt.
»Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?«
Sannazzaros Augen flitzten wachsam hin und her, und seine Bewegungen hatten plötzlich etwas Hektisches an sich. Dann verhärtete sich sein Gesicht. »Ich kenne Sie nicht, Signora«, sagte er schroff. »Es hat keinen Zweck. Ich kann Ihnen nicht helfen!«
Livia spürte, dass sie ihrem Ziel sehr nahe war. Es gab sonst keine logische Erklärung für Sannazarros brüskes Verhalten. Es musste irgendeine Verbindung zwischen Angelo und diesem Jacopo bestehen. Doch sie sah keine Möglichkeit, den Händler zu bewegen, seine Deckung zu verlassen. Und je mehr sie ihn bedrängte, umso misstrauischer würde er werden.
Livia setzte wieder ihre Sonnenbrille auf. Als sie sich langsam vom Stand entfernte, beobachtete sie durch ihre dunklen Gläser, wie Sannazarro mit einem Mann heftig gestikulierte. Anschließend wies er in ihre Richtung. Offensichtlich machte er ihn auf etwas aufmerksam. Schnell drehte sie den Männern den Rücken zu und versuchte sich im Gedränge ihren Blicken zu entziehen.
Es war ihr klar geworden, dass sie nur mithilfe des Zufalls weiterkommen konnte. Sonst hätte sie umgehend das ganze Überwachungsteam der Security Leonardo verpflichten müssen, um den Mercatone dellÕAntiquariato flächendeckend beobachten zu lassen. Das war nicht bezahlbar für sie. Doch sie hatte sich höchstpersönlich an diesen Platz verfügt; sie ganz allein war mit etwas Glück in der Lage, den Fall voranzubringen.
Livia beschloss daher, Sannazarros Stand aus der Menge heraus für eine Weile zu beobachten. Ob nun Angelo auftauchte oder nicht, der Händler war offensichtlich nervös genug geworden, um vielleicht irgendwann einen Fehler zu machen oder ihr ungewollt einen Hinweis zu geben. Sie wählte ihren Platz neu, der ihr ab und zu einen freien Blick auf Sannazarros Verkaufsstand durch die sich dahinschiebende Schar von Besuchern gestattete. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 20.01.2005