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Signore de Castro, bringen wir die Sache auf den Punkt: Was haben Sie also herausgefunden über die Stücke, die Ihnen Anlass gaben, mich hierher einzuladen?«
»Sehr gern, Signora Vasari. Ich bemühe mich schon den ganzen Abend darum, Sie - quasi vorab - mit den Hintergründen meines Urteils vertraut zu machen.«
»Oh? Dann habe ich hoffentlich nichts überhört.«
»Sehen Sie, was man heutzutage unter dem Sammelbegriff ÝGrafikÜ zusammenfasst, begreift ein Fälscher durch seine Brille als ein relativ einfach zu fälschendes Produkt. Die Reproduktionstechnik macht fast alles möglich.«
»Wenn ich Ihnen so zuhöre, dann gewinne ich immer mehr den Eindruck, als gäbe es gar kein echtes Kunstwerk mehr auf dieser Erde. Als wäre alles nur gefälscht!«
»Dieser Eindruck wäre sicher übertrieben«, erwiderte Silberschopf und machte eine bedeutungsvolle Pause. »Es verhält sich wie bei Ihrem Angebot É«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Fifty-fifty!«
»Etwas genauer bitte!«
»Ihr Matisse ist echt, der Grosz nicht.«
Livia stockte der Atem. Sie fühlte sich durch die Art, wie de Castro ihr das unverblümt um die Ohren haute, persönlich angegriffen. Dieser Mistkerl!, tobte es in ihr. In diesem Moment hätte sie ihn am liebsten erwürgt. Und Angelo obendrein.
De Castro hatte Livias stille Entrüstung bemerkt. »Seien Sie unbesorgt«, versuchte er sie zu besänftigen. »Ich erlebe die Gefühle der Enttäuschten mehrmals im Monat.«
Livias Stimme war eiskalt. »Gefühle kann ich mir in diesem konkreten Fall nicht leisten, Signore de Castro! Und was heißt hier ÝunbesorgtÜ? Bitte erklären Sie mir doch, worauf sich ihre Erkenntnis stützt!«
»So beruhigen Sie sich doch, Signora Vasari É«, hob er beschwichtigend beide Hände. »Warten Sie ab. Ich bin sicher, der Abend endet für Sie noch sehr zufriedenstellend.«
Livia war nahe daran aufzustehen, da sie erkennen musste, dass ihr die Kontrolle über das Spiel entglitten war. Im gleichen Augenblick entschloss sie sich, de Castros wahre Absichten bis an die Grenze der eigenen Zumutbarkeit auszuloten. Trotz der misslichen Lage zwang Livia sich zur Gelassenheit. Sie griff nach ihrem Weinglas und nahm daraus einen kräftigen Schluck.
Ihr Gegenüber faltete die Hände und ließ die Daumen rotieren. Livia hielt seinem herausfordernden Blick stand. Plötzlich lächelte sie, als ob sie einen verlorenen Liebhaber wiedergewinnen wollte. »Der große Kunstexperte hat meine Frage noch nicht beantwortet«, gurrte sie.
»Ah ja! Meine Erkenntnis, Signora É?«
»So ist es. Ihre Erleuchtung!«
»Nun! Reden wir erst einmal über den Matisse. Die Lupe, mein schnellstes Hilfsmittel, ergab für die Dame mit Collier Strich für Strich ein sauberes Ergebnis. Auch die zwanzigfache Vergrößerung eines Details, mit der ich kurz vor unserem Treffen noch eine Abstandsmessung im Vergleich zu einem unserer Archivbilder vornahm, bestätigten den ersten Eindruck. Abweichungen waren nicht feststellbar - nicht der Bruchteil eines Millimeters.«
»Wie schön É«, sagte Livia betont gelangweilt.
»Das Papier entspricht den von Matisse verwendeten Sorten, und die Signaturprüfung unter dem Mikroskop ergab eindeutig die zügigen und weich gerundeten Linien der Tuschfeder, auch mit den winzigen Kratzspuren und Spritzpunkten, die dazu gehören.«
»Da bin ich ja richtig erleichtert!«
»Das können Sie auch sein.« Und nach einer kurzen Pause verkündete Silberschopf entschlossen: »Ich bin bereit, ihn anzukaufen!«
»Oh! Ich muss schon sagen, so viel Entschlusskraft hätte ich Ihnen zur fortgeschrittenen Stunde nicht mehr zugetraut. Nach den von Ihnen geschilderten Unwägbarkeiten außerdem eine kühne Entscheidung!«
»So würde ich die Sache nicht sehen.«
»Sind Sie sich da wirklich sicher? Oder möchten Sie nicht doch noch bei einem Matisse-Experten Rat einholen?«, versetzte Livia.
»Signora? Der Experte bin ich!«
Livia hatte Mühe, ihr Gesicht nicht zu verziehen. Sie war erstaunt, wie verletzlich doch sein Selbstgefühl war.
»Verzeihen Sie. Es war nie meine Absicht, Ihr Fachwissen in Frage zu stellen«, brachte sie es über sich, seinem Ego zu schmeicheln.
Nachdem de Castro seine Kompetenz anerkannt sah, schöpfte er erneut aus der Quelle seines Stolzes. »Nun, Signora, ich bedaure auf der anderen Seite, Ihnen mitteilen zu müssen, dass sich die Fakten leider gegen den Liebeskranken richten.«
»Ach, machen Sie sich deshalb keine Gedanken. Für mich ist er sowieso schon gestorben É«
Die dreiste Replik brachte de Castro aus der Fassung. Sekundenschnell rötete sich sein Gesicht. »Sie machen sich die Sache einfach«, knurrte er vor sich hin. »Das kommt davon, wenn man sich mit Amateuren abgibt!«
»Mit Amateuren? Schade, dass Sie mein Angebot É dass Sie mich so gering schätzen. Sehen Sie, so kann man sich täuschen. Ich hatte Sie bisher als einen äußerst angenehmen und kundigen Geschäftspartner eingestuft.«
De Castro kämpfte um seine Contenance. »Verzeihen Sie, Signora Vasari, ich habe damit natürlich É nicht Sie persönlich gemeint. Sie sind zweifellos über die Provenienz des Stückes getäuscht worden. Sie sollten wissen, dass ich mich überwiegend an passionierte Sammler und an gebildete Kenner und Kennerinnen wende. Sie gehören natürlich zu Letzteren.«
»Mhm!«, gab sich Livia besänftigt, obwohl ihr Inneres kochte. »Ich meine, ein Galerist beweist seine Effizienz dadurch, dass er kauft und verkauft.« Sie sagte sich, dass sie nicht mehr zu verlieren hatte, und beugte sich vor, um Silberschopf noch einen tieferen Blick in ihren Ausschnitt zu ermöglichen. »Was hindert Sie also daran, mir ein Gesamtangebot für beide Werke zu machen, den Matisse und den Grosz?«
Silberschopf schluckte. »Ich bitte um Nachsicht, Signora Vasari. Doch ich habe bisher kein einziges Wort über meine Absichten verlauten lassen. Ich stellte nur fest, dass der Grosz eine - sagen wir - eine sehr geschickte Kopie ist. Doch Kopie bleibt am Ende nur Kopie, und das mit allen Konsequenzen. Ich will Ihnen gern erklären É«
»Sie haben mir genug erklärt!«, schnitt sie ihm das Wort ab und richtete sich wieder auf. »Um Ihrem Bedürfnis nach Seriosität entgegenzukommen, ziehe ich die beiden Objekte wieder zurück. Betrachten Sie die Sache als erledigt!«
Das Gesicht von Mauricio Peroni de Castro zeigte plötzlich ein breites Grinsen. Livia konnte sich zunächst keinen Reim darauf machen, was der Silberschopf damit beabsichtigte. Nachdem sein Gesicht langsam zu einer Maske erstarrt war, flüsterte er über den Tisch. »Ich kaufe Ihnen beide Objekte für É Welche Währung lieben Sie?«
»Wie wäre es mit Dollars?«
»Ich kaufe sie Ihnen für 60000 Dollar ab.«
Livia war unfähig, mit Worten darauf zu reagieren. Ersatzweise griff sie sich das Glas.
Nach einer Weile des Schweigens sagte de Castro: »Mein Instinkt sagt mir, dass Sie das Geld gut gebrauchen können. Sie werden daher mein Angebot nicht ausschlagen! Nicht wahr?«
Livia schwieg eisern. Daraufhin winkte de Castro Claudio heran.
»Cosa desidera, Signore de Castro?«
»Le dolci, per favore!«
»Signora?«, fragte Claudio nach.
Livia nickte, und Claudio entfernte sich.
»Akzeptieren Sie?«, ließ de Castro nicht locker.
Livia blickte dem Grandseigneur mit seinem weißen Haar und seiner gekünstelten Liebenswürdigkeit lange in die Augen. Sie bemerkte erst jetzt eine tiefe Falte, die sich wie die Furche eines Pflugs von der einen Schläfe zur anderen durch seine Stirn grub.
»Ich muss es mir überlegen É«
De Castro hob das Glas und prostete: »Vendi caro, misura giusto!«, was so viel hieß wie: Verkaufe teuer, aber schenke richtig ein!
»Auf unseren Abschluss!«, prostete Livia prompt zurück.
War das die Erfüllung ihres Tagtraums? Hatten ihre Waffen, wie das verführerische Kleid, ihre Stimme, das Haar und ihr Make-up schon gesiegt? Oder war es nur eine klebrige Leimspur de Castros, auf die sie kriechen sollte? Silberschopfs Schläue und Gerissenheit waren eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Er hatte sein Angebot so geschickt platziert, dass sie es kaum ausschlagen konnte. Außerdem hatte ihn sein Instinkt auf die richtige Fährte gebracht. Sie benötigte das Geld tatsächlich dringend É
Silberschopf fixierte Livia, als wartete er darauf, dass sie durch irgendein Zeichen eine Schwäche verriet.
»Wie stellen Sie sich die Abwicklung vor?«, ergriff sie die Initiative.
»Wenn ich Ihren und meinen Zeitplan im Kopf habe, muss es heute noch sein. Wir fahren zur Galerie. Die Dollars ruhen dort sicher im Safe.«
»Sie transportieren wohl ungern Geld durch Mailand.«
»Richtig!«, grinste Silberschopf.
Im gleichen Augenblick wurde das Dessert serviert. Livia war der Appetit vergangen. Während sie auf den Teller starrte, suchte sie verzweifelt nach Möglichkeiten, wie sie den Ablauf der nächsten Stunde noch in ihrem Sinne beeinflussen konnte. Bei aller Beklommenheit und trotz der widersinnigen Gedanken, die durch ihren Kopf jagten, versuchte sie nach außen hin Gelassenheit zu zeigen.
Sechzigtausend Dollar!, hämmerte es in ihrem Kopf.
Gib Acht! Es kann eine Falle sein! Wer händigt denn um Mitternacht so viel Geld aus?, meldete sich die Stimme des Unbewussten.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 17.01.2005