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Der Papst gibt symbolisch jedem den Segen, der unsere Galerie wieder verlässt. Wir sind davon überzeugt, dass er unseren Kunden und uns Gottes Segen bringt.«
Livias Stimme stockte. »Ja É Sie mögen Recht haben É Die É Symbolik jedenfalls spricht É für sich.«
»Gefällt es Ihnen?«Statt zu antworten, blickte Livia lange auf ihre Uhr und verschaffte sich somit eine kurze Pause. »Oh! Ob es mir gefällt? Ich denke, der Mann verstand sein Handwerk. Wissen Sie, ich war im ersten Moment ein wenig überrascht, es hier zu sehen. Doch ich muss gestehen, ich habe es wohl mit einem anderen Bild verwechselt.«
Nach einem letzten Blick auf die Signatur schickte sich Livia an, die Galerie Alberto Pieramanti endgültig zu verlassen. Als de Castro ihr die Tür öffnete, hatte er wieder seine devote Haltung eingenommen, wie er sie nur ganz besonderen Kundinnen entgegenbrachte.

Auf die Frage, wie das Ristorante Savini zu bewerten sei, antwortete Livias Chauffeur ohne Umschweife: »Das Savini, Signora, steht in einer Reihe mit dem Mailänder Dom, der Scala und der Galleria! Freuen Sie sich. Für diesen Gaumenkitzel sind Menschen zu vielem bereit É«
Die beiden letzten Sätze, aus dem Munde eines Chauffeurs, waren etwas mehr an Information, als sie sich gewünscht hätte. Livia zog es vor zu schweigen und versuchte sich auf das Treffen mit dem Galeristen zu konzentrieren.
Mit: »Wie lange wird es dauern, Signora?«, stellte der Chauffeur die falsche Frage.
»Halten Sie sich bereit!«, erwiderte Livia kühl.
Eine wohlorganisierte Reihe livrierter Diener stand bereit, um Livia am Eingang des Restaurants mit betonter Zuvorkommenheit zu begrüßen. Ein junger Mann, in klassisch elegante Uniform gekleidet und mit so glatten Wangen, dass er die Pubertät einfach übersprungen haben musste, wurde angewiesen, sie zum reservierten Tisch zu geleiten. Ihre hohen Absätze hallten auf dem Marmorboden wie Soldatenstiefel wider, als sie auf den auserwählten Tisch zusteuerte. Livia kam genau eine halbe Stunde nach der verabredeten Zeit, was garantierte, dass ihr Gastgeber, Signore Silberschopf, sie erwarten musste.
Als er Livia herankommen sah, sprang er auf. Erhebliche Zweifel über ihr Erscheinen mussten ihn bereits gequält haben, denn seine Augen glänzten vor Erleichterung. De Castro hatte sich herausgeputzt. Kein Silberhaar lag am falschen Platz, und die Bundfalten seiner Hose zeigten eine scharfe Kante. Jeder, der Augen dafür hatte, konnte es sehen - die Welt war für ihn in jenem Moment in Ordnung.
»Ich bin überglücklich, Signora Vasari, dass Sie meine Einladung angenommen haben!« Mit schwungvoller Geste hielt er die Hand ausgestreckt. Livia empfing einen feuchten, fleischigen Händedruck. Kaum hatte sie Platz genommen, bemühte sich de Castro, trotz seiner Nervosität eine lockere Atmosphäre herzustellen.
Livia war in einem schwarzen Kleid erschienen, das sich durch einen tiefen v-förmigen Ausschnitt auszeichnete. Der Anblick brachte nicht nur de Castros Konzentration, sondern auch seine Selbstsicherheit ins Wanken. Dafür war sein Interesse umso mehr geweckt, denn de Castro wusste über Livia nur das Wenige, was sie ihm erzählt hatte - und das, was er sah, fühlte und wahrnahm.
Auf seine Frage: »Was haben Sie morgen in Mailand vor?«, konnte Livia zunächst nicht antworten, da ein Ober mit melodischer Stimme raffinierte Cocktails und vielversprechende Aperitife ansagte, die er zur Auswahl anbot.
»Wollten wir nicht einen Prosecco trinken?«, erinnerte sich Livia.
»Prosecco?«, spielte de Castro den Enttäuschten. »Nein, Signora, der Abend hat wahrhaftig etwas Besseres verdient. Wie wäre es mit Champagner?«, fragte er mit einem Blick auf ihr Dekolleté.
»Sehr gern!«, willigte Livia ein.
»Also, Claudio, bringen sie uns zwei Glas Champagner!«
»Zwei Glas Champagner, Signore de Castro!«, wiederholte der Livrierte eifrig.
Ein paar Sekunden lang sagte niemand etwas.
»Um ihre Frage zu beantworten«, beendete Livia die Pause, »ich werde morgen ausschlafen, einen Einkaufsbummel durch die Stadt machen, eventuell Freunde besuchen und auch einige Entscheidungen treffen.«
De Castro nickte, als wäre er mit der Antwort hoch zufrieden. Doch Livia spürte, dass er richtig neugierig auf sie war. Neugierig auf ihre Vergangenheit, ihre Gegenwart und auf ihre weiteren Pläne.
Das Ritual eines solchen Abends schrieb eigentlich vor, dass de Castro mit den ihn wirklich bewegenden Fragen noch warten würde, bis Wein und gutes Essen eine Atmosphäre der Vertrautheit geschaffen hätten. Doch schon sein nächster Vorstoß überraschte sie völlig. Zunächst sah er sie bewundernd an, lehnte sich genüsslich zurück und meinte: »Ihr Mann liebt Sie wahrscheinlich sehr. Und Sie ihn auch.«
Livia verschlug es die Sprache. Eine Antwort darauf blieb ihr glücklicherweise erspart, da im selben Moment der Champagner gereicht wurde. Silberschopf tat so, als lege er keinen Wert auf Livias Aussage.
»Zum Wohl und auf einen guten Abschluss des heutigen Abends!«, meinte er stattdessen verheißungsvoll.
»Salute!«, erwiderte Livia, wieder Herrin der Lage. Sie war nun auf alles Mögliche gefasst, doch anstatt weiter in ihrem Privatleben zu stöbern, spähte de Castro durch das Champagnerglas und verlegte sich auf die Küche des Hauses. »Wäre Botticelli hier Gast gewesen, Signora, hätte er seine nackte Venus nicht aus einer Muschel, sondern aus dem Kochtopf steigen und auf einem Savini-Teller mit Risotto alla Milanese Platz nehmen lassen!«
Livia musste lachen. De Castro schien doch nicht so steif zu sein, wie es zunächst den Anschein hatte. Doch im gleichen Moment spürte sie ein Unbehagen, da ihr zu Bewusstsein kam, dass sie in der Via Botticelli ihr Quartier bezogen hatte. Wusste er davon, oder war es nur Zufall, dass er ausgerechnet diesen Namen erwähnt hatte?
»Wissen Sie«, fuhr er fort, »vor nicht allzu langer Zeit habe ich auf einem kleinen Antiquitätenmarkt bei Florenz ein Bild entdeckt, das ich, ohne mir große Gedanken darüber zu machen, spontan für meine Küche gekauft habe.«
»Da bin ich aber sehr gespannt É«
»Mhm! Das Bild zeigt die Venus von Botticelli, allerdings viel verführerischer É«
»Verführerischer?«
»Ja! Als Nudelstillleben.«
»Als was É?«
De Castro hob beide Hände, versuchte etwas in die Luft zu modellieren, bemühte sich seine Deutung mimisch zu erläutern und zeichnete einen choreografischen Verlauf nach. »Stellen Sie sich vor: Der bacchantische Männerkopf, der mit seinen prustenden Backen die Frisur der Göttin in eine malerische Unordnung bringt, zeigt noch dazu frappierende Ähnlichkeit mit mir. Die langen blonden Haare der Göttin ergießen sich wie Spaghetti al dente über die Leinwand, Tagliatelle wirbeln im Wind, während pralle Maccheroni und Fettuccini der Liebesgöttin über den Rücken in den Schoß quellen.«
»Guten Appetit!«, versetzte Livia und lachte schallend.
»Sie werden es nicht glauben, Signora Vasari, doch das sagen auch ganz spontan meine Gäste, wenn sie das Bild betrachten.«
»Ich bin mir sicher, Sie haben es noch nicht vollständig beschrieben É«
»Sie haben Recht«, sagte Silberschopf, rutschte mit seinem Stuhl bis an die Tischkante, beugte sich vor und flüsterte lüstern: »Auf ihrer wohlgeformten Brust kräuselt sich ein appetitlicher Messicano aus Nudelteig, und in ihrem Nabel wölbt sich ein Tortellino lüstern nach vorn.«
»Das klingt ja tatsächlich verführerisch. Das ist wohl die Quintessenz der Weiblichkeit, nach der Sie sich stets gesehnt haben. Lenkt Sie das nicht vom Kochen ab, oder herrscht in der Küche etwa Ihre Frau?«
Silberschopf wich zurück, blickte hilflos, als wäre er ein Kind, dessen Turm aus Bauklötzen Livia mutwillig zum Einsturz gebracht hätte.
»Ich bin sicher, Ihre Frau liebt Sie sehr und duldet das verführerische Bild in ihrer Küche«, sagte Livia, lächelte und hob entwaffnend ihr Glas. Um de Castro aus der Situation zu retten, fuhr sie listig fort: »Steigt Ihre Venus wirklich aus einem Kochtopf?«
»No, no É Natürlich nicht É« De Castro trank langsam aus seinem Glas, um Zeit zu gewinnen. »Sie steht in der Muschel, wie auf dem Original. Allerdings liegen ihr Edelfische, Langusten und Hummer zu Füßen.«
»Hmmm! Sie machen mir wirklich Appetit! Lassen wir uns doch berichten, was der Küchenchef empfiehlt. Einverstanden?«
»Einverstanden!« Ein Blick de Castros genügte, und der Kellner kam an den Tisch.
»Claudio! Was empfehlen Sie uns?«
»Die Spezialitäten des Tages.« Die Worte rollten mit der Leichtigkeit, zu der nur ein geübter Kellner fähig war, von Claudios Zunge: »Ravioli freschi in brodo, rombo chiodato ai cubetti di pomodoro e timo, ossobuco alla Milanese con risotto, carré di agnello présalé al tartufo« - frische Ravioli in Brühe, Steinbutt mit Tomatenwürfeln und Thymian, Kalbshaxenscheibe auf Mailänder Art mit Reis, mariniertes Lammkotelett mit Trüffeln. »Und als dolci Soufflé al Grand Marnier.«
»Sehr verlockend, sehr verlockend É«, schwärmte de Castro. »Signora Vasari, sind Sie mit ravioli fresche einverstanden?«
»Ja gern.«
»Welchen Hauptgang wählen Sie?«
»Ich nehme den Steinbutt.«
»Gut! Dann probiere ich den Lammrücken.«
Claudio notierte und fragte: »Die Weine wie immer, Signore de Castro?«
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 13.01.2005