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Ich kann Sie gut verstehen, Signora Vasari. All diese primitive Symbolik hätte ich noch vor Jahren, ebenso wie Sie, von Grund auf abgelehnt. Doch in der persönlichen Beziehung zur Kunst gibt es Prozesse É«
»Ich finde es ja rührend, wie Sie meinen Kunstschatz verteidigen, Signore de Castro«, fiel sie ihm ins Wort, »doch Sie können sicher sein, ich weiß, was ich damit geerbt habe.« Livia klimperte mit dem Wimpern und wechselte im Zeitlupentempo wieder ihre Beinstellung. »Der persönliche Eindruck hat damit nichts zu tun. Aber vielleicht können Sie mich ja dahingehend überzeugen, dass ich eines Tages gegen subkulturelle Anwandlungen nichts mehr einzuwenden habe.«
Silberschopf zeigte sich begeistert: »Oh, nichts könnte mir mehr Freude bereiten É!«
»Sind Sie an einem Ankauf interessiert?«
»Sehr! Natürlich! Einen Moment bitte É« De Castro drückte auf einen Knopf an seinem Telefon. Kurz darauf erschien die junge Angestellte in der Tür.
»George Grosz! Werkverzeichnis! 1916! Außerdem die Kartei!«, bellte de Castro. Gleich darauf wurde er wieder verbindlich: »Dann wollen wir einmal gemeinsam dem lieben Henri Matisse unsere Aufmerksamkeit schenken.«
Behutsam befreite er wiederum das Kunstwerk aus seiner Umhüllung. Es war eine Tuschfederzeichnung und zeigte eine Dame mit Collier.
»Ach ja! Man sieht es«, bemerkte er nach einer Weile des Betrachtens, »Luxus, Stille, Eros - das ist der Matisse, wie wir ihn kennen. Zwar ist diese Dame keine Nymphe und auch keine Badende, dafür kommt bei ihr ein wenig Luxus zum Vorschein.«
»Dame mit Collier!«
»Mhm, ja! Soweit ich weiß, wurde diese Dame vor etwa drei Jahren in Deutschland, im Stuttgarter Kunstkabinett, versteigert. Der Preis lag, wenn ich mich recht erinnere, bei nur zweitausend Mark.«
Livia erschrak. Einer der letzten Sätze, die Angelo zu seiner Rechtfertigung kurz vor ihrer Trennung von sich gegeben hatte, hallte nun in ihrem Kopf wider: »Betrug ist die Triebkraft des Geschäfts, die Grundlage politischer Macht und der Köder der Liebeswerbung!« War die »eiserne Reserve« nur Blech? Livia ärgerte sich, dass sie zu wenig Zeit für die Auswahl der Grafiken eingeplant hatte. Wie konnte sie nur mit diesem Flop hier aufkreuzen? Zu ihrem Glück beschäftigte sich Silberschopf erneut mit Lampe und Vergrößerungsglas, sodass er den kleinen Verlust an Selbstsicherheit bei ihr nicht bemerkte.
»Glatt geschenkt!«, erwiderte Livia etwas trotzig.
De Castro blickte auf. »Schade, Signora Vasari. Ich hätte gern mehr aus der von Ihnen geerbten Sammlung gesehen.«
Livia lächelte sibyllinisch.
»Signora, die beiden Kunstwerke liegen preislich himmelweit auseinander. Darf ich Sie höflich fragen, warum Sie gerade den Grosz und den Matisse ausgewählt haben?«
»Den Grosz, weil ich ihn nicht mag, den Matisse, weil er mir persönlich entbehrlich schien.«
»Mhm!«
»Außerdem sind Sie der erste Galerist in Mailand, an den ich mich wende. Von Stadt zu Stadt, von Galerie zu Galerie fallen die Preise mitunter sehr unterschiedlich aus.«
»Oh! Ich weiß, wir sind nicht die Einzigen auf dieser Welt.«
»Signore de Castro! Sie sind einzigartig. Meine Entscheidung, Ihre Galerie zu wählen, fiel nicht zufällig. Ihr Ruf ist glänzend, und ich fühle mich nach dem, was Sie mir über die Grafiken sagten, bei Ihnen sehr gut aufgehoben. Ich bin überzeugt davon, dass Sie mich nicht übervorteilen werden - auch mit Blick auf eine künftige Beziehung.«
»Ich bitte Sie, Signora. Wir haben einen guten Ruf zu verlieren. Gute Kunden sind selten - von ganz besonderen Kundinnen wie Ihnen ganz zu schweigen. Der Markt hingegen wird immer schwieriger.«
»Wie meinen Sie das?«
»Risikoreicher! Ich möchte Sie aber jetzt wirklich nicht mit der dunklen Seite des Kunstmarkts bekannt machen.«
Livia versuchte nun ihren Rock ein wenig nach unten zu ziehen, was vergeblich war, da beim nächsten Übereinanderschlagen ihrer Beine der alte Zustand wieder hergestellt war. »Signore de Castro, nichts ist interessanter als das Risiko. Finden Sie nicht auch?«
»Sie haben Recht: Das Neue ist immer risikoreich.«
»In der Tat! Erzählen Sie mir etwas über die Ýdunkle SeiteÜ des Kunstmarktes, wie Sie es nannten.«
De Castro wollte etwas darauf antworten, als die junge Angestellte ein Rollwägelchen mit Hängeregister hereinschob.
»Hierher!«, dirigierte er das Wägelchen an seine linke Schreibtischseite. Verstohlen blickte er auf seine Schreibtischuhr. Als die junge Dame die Tür wieder hinter sich schloss, fuhr er fort. »Sehr gern, Signora Vasari. Dafür benötigen wir allerdings ein wenig mehr Zeit, als mir gerade jetzt zur Verfügung steht.«
»Ich verstehe. Sie sind sehr beschäftigt.«
»Nein, nur É«
Livia setzte sich aufrecht und blickte ihn fragend an. In dieser Stellung hatte sie, trotz ihres absolut modischen Erscheinungsbildes, etwas von der Hoheit einer großen Dame.
»Ja, wenn es Sie wirklich interessiert É«
»Natürlich. Kunst und Kunsthandel beginnen mich zu faszinieren.«
»Ja, also É Nun, wie lange sind Sie noch in Mailand?«
»Oh, ich werde Mailand Montag wieder verlassen.«
»Übermorgen schon? Das ist wahrlich kurz É«
Livia beobachtete mit Faszination, wie es hinter Silberschopfs Stirn arbeitete, als er versuchte, sich von seinen Verpflichtungen freizukämpfen.
»Dieses Wochenende, Signora É? Lassen Sie mich überlegen É Nein, es ist aussichtslos É«
»Schade!« Livia blickte auf ihre Uhr und sah Silberschopf ins Gesicht. Das Dunkel der Augen gegenüber saugte die Funken auf. Livia war über sich selbst erstaunt, dass sie diesem Blick standhielt. Sie stellte fest, dass ihr Vorsatz, dies als eine rein geschäftliche Transaktion anzusehen, ihr das Lügen vereinfachte. Sie starrte ihm reglos ins Gesicht, als warte sie auf eine Antwort.
»Es sei denn É« Alle seine Verpflichtungen begannen zu wanken. Livia bemerkte, wie sich zugleich mit seiner Rede sein Wesen veränderte. Dieser Händler von Ölschinken, ging es ihr plötzlich durch den Kopf, hat nun etwas von einem Menschenhändler. Plötzlich wirkte er auf sie wie ein Sklavenhändler für Kunstgegenstände.
»Es É sei É denn É«, wiederholte Silberschopf gedehnt vorsichtig, »É Sie hätten heute Abend Zeit und lassen sich von mir zum Essen einladen.«
»Oh! Ich weiß gar nicht, ob ich das annehmen kann.«
»Dann müssen Sie leider auf die dunklen Seiten des Kunstmarkts verzichten!«
»Ihr Angebot ist verlockend, Signore de Castro É Erst aber sollten wir noch unser Geschäft voranbringen.«
»Gern. Wir werden den Grosz und Matisse einer genauen Prüfung unterziehen und uns danach endgültig entscheiden. Ich werde nach Ihrem freundlichen Besuch sofort alles in die Wege leiten.«
Livia blickte auf ihre Armbanduhr. »Einer genauen Prüfung? Ich habe wenig Zeit, wie Sie wissen. Ich habe gedacht, Sie als Experte würden mir heute schon ein Urteil darüber abgeben können É«
»É was wir bereit sind auszugeben?«, fiel de Castro ihr ins Wort und lächelte, wie er es wohl schon Hunderte Male getan hatte, wenn der Schwur zum Gelde nahte. »Bitte verzeihen Sie mir meine Offenheit, Signora Vasari. Wenn wir unsere Ankäufe nur nach den Kriterien des Preises aussuchen würden, blickten wir durch die falsche Seite des Fernrohres.«
»So? Was sehen Sie denn durch die richtige?«
»Viel wichtiger als der Preis - vorausgesetzt, wir haben Originale vorliegen, wovon ich einmal ausgehen will - sind die Verkaufsaussichten auf dem Kunstmarkt.« Daraufhin hob er beide Hände und meinte: »Ich kann Sie aber beruhigen. Der Markt boomt geradezu. Wir werden uns daher gewiss einig werden.«
»Bei wie viel Dollar?«, sagte Livia eiskalt.
De Castro sah Livia geradezu unverschämt gierig an, als wäre sie schon seine Beute. »Lassen Sie mir noch ein wenig Zeit. Ich werde es Ihnen heute Abend sagen.« Daraufhin blickte er zu seiner Schreibtischuhr. »Sagen wir um 21 Uhr im Savini, Galleria Vittorio Emanuele. Ich notiere Ihnen zur Sicherheit die Telefonnummer.«
Als er Livia den Zettel reichte, reagierte sie kühl. »Ich denke, mein Chauffeur wird den Weg schon finden.«
De Castro erhob sich. »Natürlich, wie konnte ich annehmenÉ«
Livia erhob sich, strich ihren Rock glatt und deutete auf die Grafiken. »Nutzen Sie die Zeit. Nennen Sie mir die Summen heute bei Tisch, und wir werden vielleicht ins Geschäft kommen. Und vergessen Sie nicht, meinen Grosz und Matisse wieder mitzubringen. Nun lassen Sie bitte nach meinem Wagen rufen!«
Als sie neben de Castro zur Tür ging, fiel ihr Blick auf ein Porträt, das dekorativ auf einer Staffelei neben dem Eingang um Aufmerksamkeit heischte. Wie vom Donner gerührt blieb sie stehen und starrte auf das Gemälde. Es war das Porträt des Papstes aus ihrer Wohnung in Venedig, das Metelli beschlagnahmt hatte. Nur der Rahmen war anders, und die Farben leuchteten frischer.
De Castro, der ihrer Blickrichtung gefolgt war, stellte sich neben das Bild und ließ seinen Bariton klingen: »Von Pompeo Batoni. Geboren in Lucca. Achtzehntes Jahrhundert. Ein begnadeter Porträtist. Der gefeiertste italienische Maler seiner Zeit. Man hat ihn einen zweiten Raffael genannt É«
Livia hatte Mühe, ihre Fassung wiederzugewinnen. »Wie É wie sind Sie an das Bild gekommen?«
»Es steht seit gut einem Jahr an dieser Stelle. Vorher fristete es jahrelang in unserem Magazin sein Dasein. Es ist momentan unverkäuflich.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 12.01.2005