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»Jede und jeder muss selbst mit Gott ringen«

Kardinal Karl Lehmann zur Flutkatastrophe in Asien

Hamburg (dpa). Die verheerende Naturkatastrophe in Südasien könnte nach Ansicht von Kardinal Karl Lehmann »eine Initialzündung zu einem neuen Denken in globaler Verantwortung« sein. Es gebe nicht nur den weltweit lähmenden Schock, sondern »es gibt eine globale Hilfsbereitschaft wie selten vorher«, sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz.

Die Naturkatastrophe in Südostasien lässt viele Menschen verzweifeln. Warum lässt Gott solches Leid an so vielen unschuldigen Menschen zu, hat die Theologie eine Antwort? Kardinal Lehmann: »Die Theologie ist seit ÝAuschwitzÜ und der Erfahrung des Holocaust mit solchen Antworten sehr viel sensibler geworden. Sie kennt die Grenzen der Theorie. Es gibt andere Formen der Auseinandersetzung mit dem Leid: Die Theologie kümmert sich wirklich solidarisch um die Schreie der Menschen in Leid und Not. Die tatkräftige Hilfe, das Mitgefühl, aber auch die Klage, die zuweilen eine Form des Gebets sein kann, sind Antwortversuche. Im Letzten nehmen aber auch Philosophie und Theologie dem Rätsel des Bösen und des Unheils in der Welt nicht den Stachel. Was Christen bei aller Sprachlosigkeit und Trauer bleibt, sind Glaube, Hoffnung, Liebe. Auch die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten und das ewige Leben bei Gott.«

Goethe soll nach dem historischen Erdbeben von Lissabon (1755) seinen Glauben an einen gerechten Gott verloren haben. In der deutschen Nachkriegszeit haderten selbst Theologen, wie man nach Auschwitz noch vom gerechten, allmächtigen Gott sprechen könne. Lenkt Gott unser Schicksal? Kardinal Lehmann: »Schon im Alten Testament ringt der gerechte Mann Ijob mit Gott, ja er klagt ihn an, weil er das ihm widerfahrene Leid nicht versteht. Auch für ihn ist schon die Klage eine erste Hilfe in der Not. Jesus selbst ruft am Kreuz »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?«. Aber dieses Erleben der Gottverlassenheit behält nicht das letzte Wort: Jesus Christus ist von den Toten auferstanden und hat den Tod besiegt. Das ist das Geheimnis unseres Glaubens. Wir glauben nicht an einen anonymen Weltenlenker, sondern an den in Jesus Christus Mensch gewordenen Gott. Zu unserem Glauben gehört aber auch das Wissen um die Sünde und die Erlösungsbedürftigkeit von Mensch und Schöpfung. Die Heillosigkeit der Welt in allen ihren Dimensionen zu überwinden, dazu ruft unser Glaube uns auf. Das elementare Gebet kann ein Ort sein, wo Menschen in aller Bodenlosigkeit einen Halt finden. Dies kann nicht von Außen vorgemacht werden. Jede und jeder muss selbst mit Gott ringen, um seinen Segen zu erhalten, wie uns die Geschichte des Patriarchen Jakob in seiner Begegnung mit Gott lehrt.«

Ist die Theodizee-Frage, also warum Menschen zu Unrecht Leid erfahren, eine Sackgasse? Welche Einstellung empfehlen Sie den Menschen, um an die Zukunft glauben und entsprechend handeln zu können? Kardinal Lehmann: »Wenn uns bei der Antwort auf die Frage nach dem ÝWarumÜ fast die Worte ausbleiben, so können wir dennoch etwas tun: Helfen. Das Bekenntnis des Lebens in Wort und Tat bringt uns manchmal weiter, wenn wir sonst nur noch stammeln können. Dies ist die Chance unserer Stunde: Es gibt nicht nur eine wirtschaftliche Globalisierung, nicht nur den weltweit lähmenden Schock, sondern es gibt eine globale Hilfsbereitschaft wie selten vorher. Hoffentlich ist es nicht nur der kurzlebige Ausdruck unserer Verlegenheit, sondern wirklich die Initialzündung zu einem neuen Denken in globaler Verantwortung.«

Artikel vom 03.01.2005