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Am Tag X blieb
Randale aus

Arbeitslose nehmen Hartz IV hin

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Der Chef der Bielefelder Agentur für Arbeit, Peter Glück, machte von seinem Hausrecht Gebrauch, rief die Polizei und ließ knapp 30 Protestanten nach draußen führen. Solange das Häuflein die Kundschaft nicht behinderte, durfte es vor dem Gebäude gegen Hartz IV wettern.

Der Protest in Bielefeld war schon vergleichsweise bemerkenswert. Die zum Start von Hartz IV erwarteten Unmutsäußerungen fielen bundesweit sehr viel gemäßigter aus als befürchtet. Nach Angaben der Veranstalter protestierten in 83 Städten nur 15 000 Menschen gegen die Arbeitsmarktreform. »Die Mobilisierungsfähigkeit hat nachgelassen«, sagte Angelika Klahr gestern dieser Zeitung. Die Mitarbeiterin der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen (KOS) in Berlin erklärte die geringe Resonanz so: »Die Menschen sind frustriert, weil die Montagsdemos nichts gebracht haben.«
Der Arbeitsmarktpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Klaus Brandner aus Gütersloh besuchte gestern Arbeitsagenturen wie die in Berlin-Neukölln. Der Protestaufruf von Initiativen wie »OWL gegen Sozialabbau« hat Brandner mächtig geärgert: »Ich habe wenig Verständnis für die Ankündigung, Agenturen zu blockieren, in denen Menschen Rat und Hilfe bekommen sollen.« Im Stadtteil Wedding ging es ruppig zu: Ein Teil der 400 Hartz-Gegner versuchte die Absperrung zu durchbrechen, 60 Sympathisanten der autonomen Szene griffen Polizisten an. 15 Personen wurden festgenommen.
Dass die Massenproteste weitgehend ausblieben, wertet Brandner als Zeichen dafür, dass sich bei den Betroffenen die Erkenntnis durchsetzt, dass Hartz IV »nicht Armut pur bedeutet und es nicht um die Abstrafung von Arbeitslosen, sondern um mehr Chancen für sie geht«. Die Auszahlung des Arbeitslosengeldes II laufe reibungslos ab, schilderte er seine persönlichen Beobachtungen. In der Tat: Von den 130 000 Betroffenen einer Computerpanne zum Jahresschluss mussten sich gestern nur 300 ihr Arbeitslosengeld II persönlich bei den Arbeitsagenturen abholen. In Paderborn waren es bis zum Nachmittag fünf Personen. Die Mitarbeiter der Arbeitsämter und Kreditinstitute verdienten sich ein Lob, denn sie hielten die negativen Folgen der Computerpanne klein. Brandner hofft, dass die Kritik an den angeblich unflexiblen Beamtenseelen in den Arbeitsämtern endlich aufhört und sich die Opposition künftig die Forderung nach Abschaffung der Behörde verkneift.
Änderungen an Hartz IV selbst warf gestern der Vorsitzende des Wirtschafts- und Arbeitsausschusses, Rainer Wend (SPD) aus Bielefeld, in die Diskussion. Die Minijob-Regelung fördere die Motivation nicht ausreichend, befürchtet Wend. Tatsächlich machen die mit 1 Euro pro Stunde vergüteten gemeinnützigen Beschäftigungen den Kohl nicht fett. Im Westen erhalten Langzeitarbeitslose einen Grundbetrag von 345 Euro. Weil jeder Cent zählt, hat die Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen einen neuen Ratgeber aufgelegt. Er kann für 3 Euro plus Porto unter info@erwerbslos.de bestellt werden. »In einigen Bescheiden haben die Arbeitsagenturen das Wassergeld herausgerechnet, aber darauf haben die Empfänger von ALG II Anspruch«, kritisierte Angelika Klahr. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg haben 75 000 Menschen Widerspruch gegen ihren Bescheid eingelegt.

Artikel vom 04.01.2005