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»Ich bin jemand, der sich engagieren muss«, sagt Eva Maria Bacso. Dabei will die 61-Jährige immer wieder neue Lebensbereiche kennen lernen. Auch das gehörte zu ihrer Motivation, als sie sich Ende der 80er Jahre zunächst für das Schöffenamt interessierte. Weil zu diesem Zeitpunkt alle Positionen besetzt waren, trug man ihr das Schiedsamt an. Eva Maria Bacso wurde Schiedsfrau im Stadtbezirk Gadderbaum.
Rund 100mal hat sie seitdem in Streitigkeiten geschlichtet. Nicht immer mit Erfolg. Das sagt sie ganz offen. »Manchmal war die Situation emotional zu aufgeladen. Oft war es für die Menschen aber auch einfach nur wichtig, mit einem neutralen Dritten über ihre Angelegenheit zu reden.«
Auch skurrile Fälle hat sie erlebt. So den Mann, der immer zu nächtlicher Stunde das Auto wusch und seine Mitbewohner in einem Mehrfamilienhaus aus dem verdienten Schlaf riss. Übrigens einer der Fälle, in dem sie schließlich nicht dazu beitragen konnte, den Streit zu begraben. Dann muss sie eine so genannte »Erfolglosigkeitsbescheinigung« ausstellen. Der Weg ist frei für eine »klassische« juristische Auseinandersetzung.
»Wer dem Prinzip Auge um Auge folgt, riskiert das Erblinden der ganzen Welt.« Diesen Leitsatz Mahatma Gandhis hat sich auch die Gadderbaumer Schiedsfrau zu eigen gemacht. Eigentlich müsste in den meisten Fällen eine Einigung zu erzielen sein. Aber die gebürtige Ungarin Bacso sieht bei den Deutschen zuweilen ein »besonderes Beharrungsvermögen. Von dem, was sie sich einmal in den Kopf gesetzt haben, sind sie nur schwer wieder abzubringen.« Diese Eigenschaft betrachtet sie allerdings nicht nur negativ. Damit verbunden sei auch ein hohes Maß Verlässlichkeit, die sie wiederum ganz besonders schätze.
Intensiv hat sie sich mit ihrer Wahlheimat Deutschland, auch mit dem Geschehen in und um Bielefeld auseinander gesetzt. Deshalb ist es für sie auch nahe liegend, die Geschichte des Schiedswesens in der Stadt, in der sie lebt, aufzuarbeiten.
In den Archiven lagern die Akten aus mehr als 200 Jahren. Anhand der Dokumente lasse sich nachvollziehen, dass das Schiedswesen schon in der Zeit der napoleonischen Besatzung verbreitet war. »Das muss doch ein Stoff sein, der Historiker reizt«, ist sie überzeugt. Wo könne man besser erfahren, wo den Menschen in ihrem Alltag der Schuh drücke als in den Protokollen der Schiedsleute, fragt sie sich.
Ihr Wunsch: Schiedsleute, Juristen, Historiker, aber auch Sprachwissenschaftler gründen gemeinsam einen Verein, um den historischen Schatz zu heben. Da könne so manche Abschlussarbeit an der Universität entstehen. Als sie zum 60. Geburtstag Kopien solcher historischer Protokolle geschenkt bekam, erwachte bei ihr die Idee, diesen Teil der Geschichte weiter aufzuarbeiten.
Schiedsfrau will sie bleiben. Das steht für Eva Maria Bacso fest. Beruflich hat sie sich immer wieder neuen Herausforderungen gestellt. Das tut sie auch am Ende ihres Arbeitslebens. Gerade hat sie ihren Vertrag als Fallmanagerin bei der Regionalen Personalentwicklungsgesellschaft REGE unterschrieben. Sie will Beziehern von Arbeitslosengeld II helfen, wieder einen festen Arbeitsplatz zu finden. Dass es möglich ist, sich neu zu orientieren, beweist ihre eigene Biografie. Und davon möchte sie ihren Klienten etwas mitgeben. So wie sie diejenigen, bei denen sie als Schiedsfrau Streit schlichten muss, an Gandhis Leitspruch erinnert.

Artikel vom 31.12.2004