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150 Arbeitsgänge
schmücken den Kopf

Weltweit gibt es nur noch drei Zylindermacher

Von Claus Donath
Achern (dpa). Wenn an Silvester Böller krachen und auf dem Bildschirm Revuegirls in Glitzerkostümen das neue Jahr begrüßen, ist der Zylinder ein vertrautes Requisit. Aber auch bei Hochzeiten, Beerdigungen oder Schornsteinfegern ist die traditionsreiche Kopfbedeckung nicht wegzudenken.

Glücklich darf sich fühlen, wer einen solchen Klapphut (Chapeau Claque) im Schrank hat. Denn auf der ganzen Welt gibt es nur noch drei Zylindermacher: in New York, im thüringischen Altenburg und in Achern in Baden-Württemberg. Der Zylindermacher ist ein fast ausgestorbener Beruf. Um so überraschender ist es, dass der Acherner Repräsentant, Meinrad Jülg, erst 28 Jahre alt ist. Zum Zylindermachen kam der gelernte Maler und Lackierer eher zufällig. Eine Bekannte, Hutmacherin in Achern, machte ihn auf den 1905 gegründeten Traditionsbetrieb aufmerksam. Mit 22 Jahren entschloss er sich zum Berufswechsel.
Er hatte das Glück, auf den letzten gelernten Zylindermacher zu treffen, der ihn in das komplizierte Handwerk mit 150 Arbeitsgängen einwies. Als der 61-Jährige zwei Jahre später starb, hatte der Quereinsteiger so viel gelernt, dass er mit den zwei Näherinnen im Betrieb eigenständig arbeiten konnte. 1500 Zylinder made in Achern gehen jährlich zu Preisen zwischen 250 und 450 Euro in alle Welt. Zu den Kunden gehört das englische Königshaus, aber auch Fernsehstars wie Thomas Gottschalk oder Harald Schmidt. Viele Diplomaten oder Politiker bestellten die steifen Satinröhren.
Stolz ist der junge Firmenchef, dass bei ihm Hutdeckel und Hutrand aus Schellack getränktem Stoff und nicht aus Karton hergestellt werden. Vier bis fünf Mal im Jahr wird im Hof ein Kessel mit dem aus Indien und Pakistan bezogenen Lack, einem Schildlaus-Ausscheidungs-Produkt, erhitzt, um die Stoffbahnen zu tränken, aus denen nach dem Erkalten die starren Deckel und Krempen geschnitten werden. Mit der Hand und mit einem Bügeleisen werden später die erwärmten Rohlinge zu geschwungenen Krempen geformt. »In den USA«, berichtet Jülg mit Geringschätzung in der Stimme, »werden Zylinder nur noch mit Plastikkrempen hergestellt«.
Im Lager stapeln sich Stoffrollen in allen Farben. Bestellt werden sie auch von Theatern, Artisten und Vereinen. Mit 95 Prozent dominiert der klassische schwarze Zylinder. Im Kommen seien jedoch Zylinder im Stoff und in der Farbe des Anzugs. Die Lieferzeit beträgt gewöhnlich zwei bis drei Wochen.

Artikel vom 29.12.2004