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Die Vision einer Versöhnung

Lesenswerte Neuerscheinung: »Das Hochzeitsessen« von Karin Irshaid

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Welches ist der gemütlichste und kommunikativste Raum in einem Haus? Die Küche, klarer Fall. Vermutlich ist das über Landes- und Kulturgrenzen hinweg überall auf der Welt so. Erst recht, wenn es darum geht, ein Festmahl zuzubereiten, wie in Karin Irshaids neuer Erzählung »Das Hochzeitsessen«.

Es ist, als ob der Leser durch die Augen der Bielefelder Autorin und freischaffenden Künstlerin in ein fernes fremdes Land entführt würde. Dort wird ein aufwändiges Hochzeitsessen zubereitet - und die gute Köchin und Seele der Küche entpuppt sich zugleich als weise Frau und Geschichtenerzählerin.
Während sie Fleisch brät, Knoblauchzwiebeln schält, Gewürze zerstößt, Joghurtsaucen anrührt und nach und nach das Mahl zusammenstellt, entsteht parallel die Geschichte eines geteilten Landes. »Ein mit Bedacht ausgewähltes Mahl wird später wie eine fertige Geschichte serviert und gemeinsam verspeist. Wer weiß, vielleicht wird es manchmal dazu benutzt, jemandem etwas aufzutischen«, legt die Autorin ihrer weisen Köchin die doppeldeutigen Spielregeln in den Mund, die zugleich die Kompositionsregeln der Erzählung sind.
Worum geht es? Um ein Wiedersehen nach Jahren, um unfreiwillige Trennung, um Demütigung und Ohnmacht, um Angst und Terror, erfährt der Leser peu à peu. »Was willst du tun, wenn eines Tages fremde Menschen an deine Tür klopfen, weil sie aus dem Land, in dem sie glaubten, zu Hause zu sein, vertrieben wurden und eine Bleibe suchen? Wie kannst du dich gegen Opfer wehren, die vor deinem Haus stehen, mit einem Schreiben in der Hand, das aussagt, sie hätten göttliche Rechte? Menschen, die dein Haus für ihren Frieden brauchen.«
Mit keinem Wort wird das Land beim Namen genannt. Dass es in der Realität gravierende Übereinstimmungen mit Israel und dem Konflikt zwischen Juden und Palästinensern gibt, verliert angesichts der weltweit ähnlichen Regeln und Eigendynamik kriegerisch ausgetragener Konflikte fast schon an Bedeutung.
Ohne Anklage und Parteinahme schildert die Erzählerin in einfacher, aber dennoch poetischer Sprache eine Geschichte von Recht und Unrecht, von Rechts- und Unrechtsempfinden. Von Opfern, die zu Tätern werden und umgekehrt, von Verletzungen, die nicht heilen wollen.
Nebenbei gelingt es Karin Irshaid, die Düfte des Orients erlebbar zu machen, in sinnlichen Bildern und detailreichen Zubereitungsbeschreibungen. Fast hat man den Eindruck, dabei zu sein, zu sehen, zu hören, zu riechen und zu schmecken.
Gleichzeitig ist »Das Hochzeitsessen« ein Text, der zeitgeschichtliche Ereignisse auf mehreren Ebenen literarisiert, so dass ein einprägsames Panorama palästinensischen Lebens in den besetzten Gebieten und im Exil entsteht.
Eine Versöhnung, die in der Realität zum derzeitigen Zeitpunkt utopisch erscheint, krönt den Roman als eine Art Vision. Frei nach dem arabischen Sprichwort: »Wenn man erst einmal zusammen an einem Tisch gesessen und gemeinsam gegessen hat, kann man kein Feind mehr sein«, nehmen am Ende Mitglieder beider Parteien friedlich an der Festtafel Platz.
Die Autorin wurde in Bayern geboren. Aufgewachsen ist sie in der DDR sowie in der Bundesrepublik. Karin Irshaid studierte Malerei, Grafik und Kunstgeschichte und lebt als Bildende Künstlerin und Schriftstellerin in Bielefeld. Von ihr liegen zahlreiche Buchveröffentlichungen vor. Noch bis zum 16. Januar 2005 präsentiert der Bielefelder Kunstverein im Museum Waldhof das künstlerische Werk Irshaids unter dem Titel »Der Blick des Bildes«.
Karin Irshaid: Das Hochzeitsessen, Pendragon Verlag, ISBN 3-934872-98-0.

Artikel vom 30.12.2004