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Leitartikel
Katastrophenschutz

Versäumtes gemeinsam nachholen


Von Reinhard Brockmann
Das verheerende Seebeben vor Südasien war durch nichts und niemanden zu verhindern. Gewalten, die außerhalb aller menschlichen Verfügung stehen, haben unendliches Leid über die Bewohner an abertausend Kilometern Küstenlinie gebracht.
Erst nach dieser Vorbemerkung kommen die europäischen Touristen, die ihrerseits in so großer Zahl wie noch nie einer fernen Naturkatastrophe Tribut zollen mussten. Hüten wir uns bei der Ursachenforschung vor Überheblichkeiten wie, gutzahlende Besucher seien der in solchen Ländern eben üblichen Schlamperei zum Opfer gefallen!
Nein. Das Seebeben hat Schwellenländer verwüstet, die ohnehin schon genug existenzielle Sorgen haben. Wer auch immer ein Frühwarnsystem vermisst, muss zur Kenntnis nehmen, dass vor allem das Geld dafür fehlt. Mit einigen Sensoren in der Tiefsee ist es nicht getan.
Der so viel diskutierte warnende Telefonanruf der Amerikaner war und bleibt hilflos, solange nicht Katastrophenstäbe und Zivilschutz organisiert werden und das Ganze bis ins letzte Hüttendorf auch geübt wird. Wie aber soll das Zusammenwirken von Hilfsdiensten, mobilen Kliniken und technischem Gerät durchgespielt werden, wenn es all dies im normalen Alltag gar nicht gibt? Werbebilder von paradiesischen Stränden verbergen, dass knapp dahinter die bittere Armut beginnt.
Die 1990er Jahre waren zur UN-Dekade zur Verhinderung von Naturkatastrophen erklärt worden. In diesen zehn Jahren ist am gesamten Indischen Ozean nichts geschehen. Besserung könnte erst jetzt als Konsequenz aus dieser Tragödie eintreten. Nach aller Erfahrung droht der gesamten Region aber erst einmal ein Entwicklungsrückschlag von fünf bis zehn Jahren.
Armut dürfe kein Freifahrschein für Dummheit und Versäumnis sein, schimpfte gestern ein besonders kluger Katastrophenexperte. Das ist zu kurz gedacht.
Die Einheimischen zollen dreifach Tribut. Nach dem massenhaften Tod ihrer Angehörigen stehen sie ohne Obdach und Arbeit da. Die Touristen, die wichtigste Verdienstmöglichkeit, werden lange ausbleiben. An den Flughäfen von Phuket bis Colombo fließen genau in diesen Stunden ein letztes Mal die Schmiergelder, gezahlt von Europäern, in großer Höhe für die möglichst schnelle Ausreise. Danach sehen Thailand, Sri Lanka und die Malediven diese Gäste womöglich nie wieder.
Der touristische Wanderzirkus wird neue und ähnlich preiswerte Ziele finden, ohne dass dann dort die Einnahmen für Infrastruktur selbst im Katastrophenfall sorgen.
Wir haben alle gern und günstig zum Discountpreis gebadet. Deshalb verbietet es sich, angesichts der europäischen Opfer mit dem Zeigefinger auf die asiatischen Regierungen zu zeigen.
Leider haben alle Beteiligten, auch die Stammgäste aus Europa, die Augen vor der Seebebengefahr fest verschlossen. Wir sollten jetzt nicht nur gemeinsam die Opfer beklagen, sondern auch über den Wiederaufbau reden.

Artikel vom 29.12.2004