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Keine Ware von der Stange

Silvester-Interview mit dem Generalmusikdirektor Peter Kuhn

Bielefeld (WB). Seit sechs Jahren zeichnet Peter Kuhn (40) als Generalmusikdirektor der Stadt Bielefeld verantwortlich. Jetzt wurde sein Vertrag -Êmit gewichtigen Änderungen - noch einmal bis zum Jahr 2008 verlängert. Über seine Ziele, Wünsche und Hoffnungen sprach Kuhn mit WB-Redakteurin Uta Jostwerner.
Schön, dass Sie Zeit für unser Gespräch gefunden haben. Können Sie zwischen den Feiertagen ohne Konzerte und Opernaufführungen mal eine Pause machen und durchatmen?Peter Kuhn: Eigentlich nicht. Ich nutze die Zeit, um mich in aller Ruhe auf meine nächste Opernproduktion, Don Carlos, vorzubereiten. Das heißt, ich lerne die Noten, den Text und überlege mir, wie man was zum Klingen bringt. Es ist ein sehr mächtig instrumentiertes Stück. Wenn man das Orchester da nicht zurückhält, gehen die Sänger unter.

Nehmen Sie außerhalb der spielfreien Zeit niemals eine Auszeit?Peter Kuhn: Eigentlich nicht. Die Orchestermitglieder haben einen garantierten freien Tag in der Woche und das macht auch Sinn, da der Abrieb sonst einfach zu groß würde. Bei mir ist das etwas anderes und ich bin froh darüber, mir meine Arbeitszeit flexibel einteilen zu können. Präsenz vor Ort ist mir sehr wichtig. Deshalb gehe ich zum Beispiel schon zu den szenischen Proben. Sänger etwa sind nur so gut, wie man sie begleitet. Deshalb muss man sie kennen.

Sie haben sich in ihrem neuen Vertrag ein verstärktes Mitspracherecht beim Engagement und der Besetzung von Sängern gesichert. Wie kam es dazu?Peter Kuhn: Da ich nicht wusste, wer Intendant am Theater werden würde, war mir das wichtig. Ich wollte mich diesbezüglich nicht eines willkürlichen Diktates ausgeliefert sehen. Bei Frau Gerber und mir war das kein Thema, wir waren uns grundsätzlich einig. Nur weiß ich, dass es an anderen Häusern schon mal zu Kämpfen kommt, etwa wenn gute Soprane mit falschen Partien besetzt werden. Das wollte ich mir hier ersparen.

Inwieweit können Sie mitbestimmen, was auf den Spielplan gelangt, und was nicht?Peter Kuhn: Wünsche konnte ich immer äußern, auch wenn die Gestaltung des Spielplans kein Wunschkarussell sein kann. Aber die Meistersinger, Maskenball und Margarethe gehen zum Beispiel auf meine speziellen Wünsche zurück. Frau Gerber hat aber immer sehr deutlich gesagt, welche Stücke sie haben wollte. Klar macht auch Michael Heicks Vorgaben, aber wir diskutieren gemeinsam mit Joel Revelle jedes Werk stark durch. Dabei geht es immer auch darum, die Ensemblemitglieder optimal einzusetzen und natürlich um ökonomische Aspekte und Erfolgschancen.

Ihr Sorgenkind aber dürften die Sinfoniekonzerte sein, die trotz intelligenter Programme und ausgezeichneter Qualität nicht den Publikumszuspruch finden, den sie verdienen. Wie erklären Sie sich das und was gedenken Sie dagegen zu unternehmen?Peter Kuhn: Da haben wir ein echtes Imageproblem. Das Produkt, das wir verkaufen, ist gut. Wenn wir eine Haydn-Sinfonie spielen, dann ist das immer eine sehr Spezielle mit besonderem Anstrich. Das ist keine Ware von der Stange und die Begeisterung des anwesenden Publikums ist ja auch bei Stücken wie zum Beispiel dem Hartmann sehr groß. Aber der Markenartikel Bielefelder Philharmoniker sagt den Leuten nicht viel. Wir suchen derzeit nach Wegen, das Image aufzuwerten, auch mit Hilfe von außen. Dabei muss alles einmal durchleuchtet werden. Auch die Termine. Die meisten Studenten fahren freitags übers Wochenende nach Hause. Die erreichen wir gar nicht, wenn wir an den Freitags- und Sonntagsterminen festhalten.

Dennoch beschleicht einen bei dem hohen Altersdurchschnitt des Publikums und bei wenig nachwachsenden jüngeren Generationen zuweilen das Gefühl, dass das Sinfoniekonzert ein vom Aussterben bedrohter Dinosaurier ist. Sehen Sie Hoffnung?Peter Kuhn: Auf jeden Fall. Die Begeisterung ist nach wie vor groß und das Gemeinschaftserlebnis im Konzert kann durch das Anhören einer CD nicht hergestellt werden. Wir haben aber auch den Auftrag, bei der großen Unübersichtlichkeit und den Neuerscheinungen des Marktes Klarheit zu schaffen und eine vernünftige Auswahl zu treffen. Sicherlich, die Klassiker wird es weiter geben. Unser Anliegen ist es aber, auch unbekannte Werken bekannt zu machen und das Publikum dafür zu begeistern.

Die Bielefelder Philharmoniker haben in der Vergangenheit immer wieder auch an alternativen Orten wie dem Brackweder Freibad, der Universität oder zuletzt dem Ringlokschuppen Konzerte gegeben. Kann man damit mögliche Schwellenängste abbauen und ein neues Publikum gewinnen?Peter Kuhn: Wir haben damit viel erreicht, auch wenn sich das nicht in Geldbeträgen oder Publikumszahlen niederschlägt. Aber ich bin von vielen begeisterten Menschen noch später darauf angesprochen worden. Uns haben die Konzerte viel Spaß bereitet und wir haben den Menschen damit eine Freude gemacht. Deshalb wollen wir das unbedingt beibehalten, mit speziell darauf abgestimmten Programmen. Es ist nicht unser Job, im stillen Kämmerlein zu spielen.

Der neueste Trend, ein junges Publikum für die Klassik zu gewinnen, scheint darin zu bestehen, klassische Programme mit DJ-Programmen zu mischen. Halten Sie das auch in Bielefeld für eine Option?Peter Kuhn: Ich erachte die Durchmischung der Ebenen für problematisch. Man macht ja auch einen Thomas-Mann-Roman nicht lesbarer, indem man ein paar Komik-Seiten einlegt. Mit einer vordergründig platten Mischung erzieht man kein Publikum, das mitdenkt. Wir setzen dem zum Beispiel unsere Gesprächskonzerte entgegen. Und ich habe festgestellt, dass gerade Kinder viel unverbildeter und offener an Unbekanntes herangehen als Erwachsene. Der Schulklasse, die in der vergangenen Spielzeit Bartoks Konzert für Orchester gehört hat, hat's richtig gut gefallen. Die wussten nur nicht, welche Verhaltensregeln im Konzert gelten. Sie haben einfach nur ihrer Begeisterung Ausdruck verliehen und einige Konzertbesucher fühlten sich dadurch gestört. Mir ist wichtig, dass es den Leuten gefällt, was wir machen. Und wenn sie vor Begeisterung zwischen den Sätzen klatschen, dann finde ich das auch in Ordnung.

Der anfängliche Trubel um Traversen und Akustik der umgebauten Oetkerhalle hat sich ja glücklicherweise gelegt. Finden Sie jetzt die Bedingungen vor, die Sie brauchen, um arbeiten zu können?Peter Kuhn: Es gibt immer mehr Stimmen, die sagen, lasst uns da bleiben (lacht). Das Orchester hat bei Opern noch nie so viel Applaus geerntet wie jetzt in der Oetkerhalle. Bei der guten Akustik lohnt es sich, schön zu spielen. Endlich hört man, welche Qualität das Orchester hat. Der alte Orchestergraben hat bis zu 40 Prozent des Klanges geschluckt. Von daher sind die Jahre des Umbaus für uns bereichernd, aber wir freuen uns natürlich auch schon wieder aufs Stammhaus. Für Regisseure und Bühnenbildner ist die Umbauzeit am entsagungsvollsten. Deshalb wollen wir versuchen, in der kommenden Spielzeit mit dem Ort noch anders umzugehen und stärker auf ihn eingehen.

Mit welchen Wünschen gehen Sie ins neue Jahr?Peter Kuhn: Ich wünsche mir, dass wir mit der Planung der neuen Spielzeit gut vorankommen und dass es hoffentlich auf gleich hohem Niveau weiter geht. Die bange Frage, wie es finanziell weiter geht, bleibt. Mir wünsche ich etwas mehr Ruhe zum Lesen und die Zeit, mich stärker mit Philosophie beschäftigen zu können.

Wie und wo werden Sie Silvester feiern?Peter Kuhn: In Berlin bei Freunden.

Artikel vom 31.12.2004