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»Wir haben um Flugplätze gebettelt«

Exklusiv: Ehepaar Mekelburger schildert Erlebnisse - Auch Georg Hesekamp wohlauf

Von André Best und
Klaudia Genuit-Thiessen
Halle (WB). »Das unheimliche Geräusch der zweiten Flutwelle werden wir wohl nie vergessen.« Noch immer steht dem Haller Ehepaar Kurt und Elzbieta Mekelburger der Schrecken im Gesicht. Mit versteinerten Mienen sagen sie: »Wir haben um Flugplätze regelrecht gebettelt.«

Wie das WESTFALEN-BLATT bereits gestern exklusiv berichtete, haben die Eheleute die Jahrhundertkatastrophe überlebt. Und auch in Stockkämpen durfte gestern Morgen aufgeatmet werden: Georg Hesekamp, Hörstes letzter Bürgermeister, der stundenlang vermisst war (ebenfalls WB exklusiv), hat sich endlich gemeldet.
»Ozean sah aus
wie Nordseeebbe,
da war mir mulmig«
Schon um sieben Uhr morgens klingelte bei seinen früheren Mietern in Hörste das Telefon. Der Hörster teilte von einer Poststelle in Colombo auf Sri Lanka aus mit, dass es ihm gut gehe.
Kurt und Elzbieta Mekelburger sind - rein äußerlich - auch wohlauf. Sichtlich mitgenommen schildern sie ihre Erlebnisse. »Es war 9.30 Uhr. Wir wollten gerade zum Strand gehen. Unsere Badesachen hatte ich vorher schon auf die Liegen gebracht. Dann kam die erste Welle. Ich ging auf den Balkon und dachte: Hier muss ein Gulli verstopft sein, denn es war nur ein bisschen Wasser angespült«, sagt der 70-Jährige, der mit seiner Ehefrau auf Silberhochzeitsreise war.
»Ich ging zum Strand, um zu sehen, ob unsere Sachen noch da waren. Ein Strandboy hatte sie gerettet. Dann bin ich wieder hoch aufs Zimmer - und blickte auf den Ozean. Das Meer sah anders aus - wie Ebbe an der Nordsee, da wurde mir mulmig.«
»Wir wollten gerade los, als dieses unheimliche Geräusch von Wassermassen in unseren Ohren dröhnte.« Elzbieta Mekelburger (61) hat Tränen in den Augen und sagt: »Von überall her schrien Leute. Nach oben, hoch, schnell. Jetzt wussten wir: Es ist vorbei.« Panik brach aus. Im Erdgeschoss stand das Wasser zwei Meter hoch. »Alle wollten nur nach oben. Einige Gäste im Erdgeschoss waren in ihren Zimmern eingesperrt. Die Wassermassen drückten gegen die Türen. Es war so schrecklich.«
Überall Verletzte. »Wir verbanden sie mit Bettlaken«, sagt Kurt Mekelburger. Niemand von der TUI da. »Wir waren wie von der Welt abgeschnitten. Nach mehr als zehn Stunden hieß es: Sachen packen, schnell nach unten, die Busse sind da.«
Drei Stunden dauerte die nächtliche Fahrt in Richtung Flughafen Colombo. »Wir sahen überall Trümmer. Leichen und Verletzte aber nicht. Wir wussten noch gar nicht genau, was überhaupt passiert war. Das wirkliche Ausmaß kannten wir nicht. Deshalb haben wir uns auch nicht gemeldet. Erst zu Hause in Halle erfuhren wir, was genau passiert ist.«
In einem Hotel nahe des Flughafens verbrachten sie fast zwei Nächte. »Wir waren in riesigen Sälen des Hotels gemeinsam mit hunderten von Urlaubern untergebracht. Es gab Decken und Matten, Getränke und Essen.« »Mitten in der Nacht wurden wir abgeholt. Wir dachten: endlich zum Flughafen, nur weg von hier. Doch dort begann das richtige Grauen.«
»Massen von Menschen, Panik, blankliegende Nerven, Geschrei. Viele Urlauber kämpften darum, einen Platz im Flugzeug zu bekommen. Wir bettelten sogar um unsere Flugplätze.« Mehrere Stunden stellten sich Kurt und Elzbieta Mekelburger in die endlos erscheinende Schlange vor dem Schalter an. Als sie endlich dran waren, wurden sie wieder weggeschickt - LTU-Urlauber hatten Vorrang. Nächster Versuch. Stunden vergehen. »Diesmal drückte man uns die Flugtickets in die Hand - aber nur deshalb, weil LTU-Urlauber, für die die Plätze reserviert waren, noch vermisst wurden.«
»Obwohl im Flugzeug auch Verletzte saßen, entspannte sich die Situation. Als wir in Frankfurt ankamen, wollte ich nur weg - doch wir wurden in einen Betreuungsraum geschleust.«
Angelika und Axel Wienecke schlossen sie in die Arme. »Ich habe nicht damit gerechnet, dass uns jemand abholt. Als ich Axel sah, dachte ich, es wäre zu Hause etwas passiert«, sagt Kurt Mekelburger. Denn noch immer hatte das Ehepaar keine Vorstellung davon, welche Jahrhundertkatastrophe passiert war und wieviel Tote und Verletzte es gegeben hatte. Zuhause in Halle guckten sie Fernsehen - und sahen erstmals all diese schrecklichen Bilder.
Erneut hat Elzbieta Mekelburger ein paar Tränen in den Augen. Es sind immer noch Tränen der Angst, aber auch Tränen um die Menschen, die es nicht geschafft haben.

Artikel vom 30.12.2004