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»Es gibt nichts mehr zu retten«

Die Situation in Indien und Sri Lanka: Massengräber und Zerstörung

Colombo/Neu Delhi (dpa). Zwei Tage nach der verheerenden Flutwelle wühlt Sawerer Fernando in den Trümmern ihres Hauses. »Es war noch Geld hier, außerdem brauchen wir Geschirr«, sagt die 48-Jährige. Doch in den zerschmetterten Resten der Holzhütte ist nichts Verwertbares mehr zu finden.

Wie überall in den ehemaligen Siedlungen entlang der Küstenstraße von Sri Lankas Hauptstadt Colombo in Richtung Süden: Dort stehen nur noch wenige Häuser aus Stein - von den Holzhütten blieben lediglich endlos an der Straße aufgeschichtete Haufen von Balken, Brettern und Wellpappe.
Dem 65-jährigen Fischer Andru Perera hat das Meer seine gesamte Existenz entrissen: »Das Boot, die Netze und die Möbel - alles ist im Meer«, berichtet Perera, der seit 48 Jahren jede Nacht auf den Indischen Ozean hinausgefahren ist. Seinem Steinhäuschen im 30 Kilometer südlich von Colombo gelegenen Wadduwa fehlt die gesamte Front. Nun schläft er mit seiner Frau und drei erwachsenen Kindern, die noch bei ihm gewohnt haben, in einem städtischen Versammlungszentrum.
Im Norden Sri Lankas werden derweil Massengräber ausgehoben. »Lkw-Ladungen mit Flutopfern wurden angefahren«, sagt Martin Baumann von der Welthungerhilfe vor Ort. »Die Angehörigen haben noch versucht, die Leute zu identifizieren, das alles musste sehr schnell gehen. Und dann wurden eben 350 Menschen auf einmal beerdigt.
Im südindischen Vailankanni werden die Toten auf Traktor-Anhängern und Lastwagen zu den Massengräbern gebracht, einer über dem anderen werden sie verscharrt. Am Strand riecht es nach Verwesung. Zwischen Trümmern und Schiffswracks liegen Leichen. Die Dorfbewohner und Helfer an den Gräbern liefern sich einen Wettlauf mit der Zeit, der Ausbruch von Seuchen droht. Zwei Tage nach der Flutwelle ist der Albtraum nicht vorbei.
Der Strand in Vailankanni, an dem bis Sonntag noch Hütten und kleine Läden standen, ist ein Trümmerfeld, nichts steht mehr. Bis ins Dorf hinein haben die drei gigantischen Wellen Fischerboote und die Zerstörung getragen. »Es gibt nichts mehr zu retten«, sagt ein Fotograf vor Ort. »Das hat niemand überlebt.«
Und das Ausmaß der Katastrophe ist immer noch nicht absehbar. Von abgelegenen Regionen wie manchen Inseln der Andamanen und Nikobaren kam auch gestern keine Nachricht. Dort sind die Menschen seit der Katastrophe völlig auf sich alleine gestellt, niemand weiß, wie viele gestorben sind.

Artikel vom 29.12.2004