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Todeswelle kam beim Tauchen

Lehrerin aus Petershagen schwamm mit Schülern - Chemikant aus Höxter flüchtete aus Hotel

Bielefeld (WB). Die Situation ist chaotisch, Informationen fließen nur spärlich und bruchstückhaft. Sicher aber ist: Auch Ostwestfalen sind von der verheerenden Flutkatastrophe in Südasien betroffen. Das dokumentieren die Berichte unserer Lokalredaktionen.

Pascal Zbick aus Höxter hat die Katastrophe offenbar überlebt, ist aber noch nicht in Sicherheit. Er lag im Bett seines Hotels, als der Boden unter ihm wackelte. Pascal erlebte auf der kleinen Insel Ko Phi Phi mit, wie die Flut kam. Und noch immer ist er mittendrin im Katastrophengebiet. Es ist eine Insel, deren Bilder Südseeträume wecken. Doch für den 28-jährigen Pascal Zbick aus Höxter ist das thailändische Phi Phi (ausgesprochen »Pi Pi«) zum reinsten Albtraum geworden. Dort, wo er seinen Urlaub genießen wollte, herrscht nach dem Seebeben und den Flutwellen unvorstellbares Leid. »Überall auf den Straßen liegen Leichen«, berichtete der Chemikant gestern morgen seiner Mutter Ilona am Telefon, bevor die Leitung plötzlich unterbrochen wurde.
Trotz des Lebenszeichens bangen Familie und Freunde weiter um den geliebten jungen Mann. Ilona Zbick hatte den reiselustigen Chemikanten am Montag vor einer Woche selbst zum Bahnhof in Höxter gebracht. Mit tränenerstickter Stimme beschrieb sie gestern, wie sie den 28-Jährigen verabschiedet hatte. »Ich habe ihm gesagt, dass er gut auf sich aufpassen soll. Er entgegnete: ÝIch komme heile wieder. Mir passiert schon nichtsÜ.« In Bangkok angekommen flog Pascal weiter nach Phuket, und dann reiste er per Boot auf die Insel Phi Phi -Êbekannt durch den Film »The Beach«. »Er ist als Rucksack-Tourist unterwegs und wollte dort tauchen«, erzählte die Mutter, die in den vergangenen 48 Stunden kein Auge zugemacht hat: »Die Ungewissheit macht mich fertig.«
Ilona Zbick frühstückte am zweiten Weihnachtstag, als Nachbarn sie besuchten. »Wir haben uns ganz normal unterhalten. Irgendwann haben sie sich dann getraut, mir von der Katastrophe in Südasien zu berichten. Ich war geschockt und habe sofort den Fernseher eingeschaltet.« Den ganzen Tag über schaltete sie von einem Nachrichtensender zum anderen. »Es wurden immer wieder die selben Bilder gezeigt. Plötzlich wurde ein verletzter Mann auf einer Trage eingeblendet, bei dem eine junge Frau kniete. Ich war mir sicher: ÝDas ist mein Pascal! Er lebt!Ü Und je häufiger ich diese Bilder sah, umso sicherer wurde ich mir.« Inzwischen weiß sie: »Ich habe mich da wohl getäuscht. Ich habe mir einfach gewünscht, dass Pascal lebt.«
Hunderte Male rief die Höxteranerin am Sonntag beim Auswärtigen Amt an. Ohne Erfolg. »Die einzige Antwort, die ich bekam, war, dass die Insel von der Außenwelt abgeschnitten ist.« Nach einer quälend langen, schlaflosen Nacht klingelte gestern früh das Telefon. »Mir geht's gut. Macht Euch keine Sorgen!«, sagte der 28-Jährige seiner Mutter, die vor Glück gleich zu weinen begann. In kurzen Worten schilderte er das Geschehene. Er erzählte von den meterhohen Wellen, dem Schlamm, dem Chaos und den vielen toten Menschen. »Ich habe kaum etwas verstanden. Die Verbindung war sehr schlecht, und im Hintergrund waren tausende ausländische Stimmen. Ich wollte noch länger mit ihm sprechen, aber plötzlich war die Verbindung unterbrochen.«
Obwohl sie von der Welle überrollt wurde, hat Tauchlehrerin Britta Lachmann (25) aus Petershagen (Kreis Minden-Lübbecke) das Seebeben wohlbehalten überstanden. Die Nachrichten von der Riesenwelle vor den Malediven hörten ihre Eltern am Sonntag um acht Uhr in der Früh. Sofort hätten die Lachmanns zum Telefon gegriffen, berichtet Mutter Ingrid, aber der vertraute Festnetzanschluss sei hoffnungslos überlastet gewesen. Brittas Schwester startete eine SMS. Die Sprachmeldung kam an und wurde um zehn Uhr deutscher Zeit beantwortet: »War mit Schülern während der Welle unter Wasser, haben von alledem nichts mitbekommen, alles ok, Britta.«
Auf der zu Malaysia gehörenden Insel Langkawi hat Reinhard Ruthmann, Geschäftsführer des Schloß Holte-Stukenbrocker Unternehmens Froli, den Tsunami miterlebt. Schon Minuten, bevor die Welle den Strand seines Urlaubsortes erreichte, habe er sie sehen können, sagte Ruthmann gestern. Noch rechtzeitig konnte er seine Kinder, die sich am Strand aufhielten, in Sicherheit bringen. Das Wasser schwappte durch das Hotel, die Schäden seien allerdings vergleichsweise gering gewesen.
Für Hubertus und Elisabeth Erichlandwehr aus Schloß Holte-Stukenbrock war das Weihnachtsfest die Zeit des Bangens. Ihre Tochter Mariele Diekhof (47) macht mit ihrem Mann eine mehrmonatige Asientour. Einen Tag, bevor das Seebeben seine zerstörerische Kraft entfaltete, zog Mariele Diekhof von Phuket nach Ko Samui um. Sie sei »unwahrscheinlich unruhig« und habe Angst vor Nachbeben, übermittelte Mariele Diekhof ihren Eltern am zweiten Weihnachtstag per E-Mail.
Kontakt zu ihren »Leuten« versuchen die Reisebüros in der Region herzustellen. Auch das TUI-Reisecenter in Bad Driburg (Kreis Höxter) hat zwei Kunden, die auf die Malediven gereist sind. Büroleiterin Anja Düker: »Wir haben noch nichts von ihnen gehört.«
Zwischen An- und Entspannung pendelte die Gefühlslage der Mitarbeiter des Reisebüros Kanne in Lübbecke. »Von uns sind derzeit zwei Kunden aus Lübbecke auf den Malediven«, berichtete Mitarbeiterin Kathrin Plaßmann. Im Laufe des Tages habe sich zum Glück herausgestellt, dass das Reiseziel, Kuredu Island, nicht zu den betroffenen oder evakuierten Inseln gehöre. Dagegen hat die Leiterin des Reisebüros Lübbecke in der Deerberg-Arkade, Elke Bastert, ein älteres Ehepaar noch nicht erreicht, das am 7. Dezember nach Phuket flog. Weder über das Hotel noch über das Handy habe sie die Stammkunden sprechen können, schilderte Bastert: »Das lässt mir keine Ruhe.«
Erleichterung herrscht in Bad Oeynhausen. »Meine Tante hat angerufen und mitgeteilt, dass es meiner Mutter und meinem Bruder gut geht«, erzählt Piyachat »Bee« Maffert, geborene Hongweerakul. Die 33-Jährige stammt aus Lop Buri (Nordthailand) und lebt seit 18 Monaten mit Ehemann Andreas in Bad Oeynhausen.
Dagegen ist das Schicksal einer Familie aus dem Kalletal noch ungewiss. Mit ihrem Baby war das Ehepaar nach Colombo (Sri Lanka) geflogen, um Verwandte zu besuchen. »Der Fluggesellschaft LTU, mit der sie geflogen waren, liegen leider keine Informationen über ihren Verbleib vor«, teilte das TUI-ReiseCenter Vlotho mit.
Christel Ludwig (56) aus Bielefeld-Jöllenbeck hat Angst um ihren Bruder Friedhelm Schnittger (58), der in Rawai Beach in Thailand lebt. Ein Hoffnungsschimmer, dass der Korrektor lebt: Gestern Abend gab es eine erste Verbindung zum Strandhotel.

Von unseren Redakteuren Ingo Schmitz, Reinhard Brockmann, Monika Schönfeld, Peter Bollig, Gerhard Hülsegge, Julia Graf und Horst-H. Griepenstroh

Artikel vom 28.12.2004