28.12.2004 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Heimtückischer Giftanschlag
konnte ihn nicht stoppen

Todesgefahr machte Juschtschenko zum Kämpfer

Von Friedemann Kohler
Kiew/Moskau (dpa). Auch ein Giftanschlag hat den ukrainischen Oppositionsführer Viktor Juschtschenko nicht auf dem Weg ins Präsidentenamt stoppen können. Im Gegenteil - die überstandene Todesgefahr hat aus dem früheren Wirtschaftstechnokraten und zögerlichen Politiker einen besonnenen Kämpfer gemacht.
Weggefährtin des ukrainischen Wahlsiegers: Julia Timoschenko
Juschtschenko (50) ist kein mitreißender Redner, aber er hat eine Botschaft. »Unser Schicksal hängt nicht von Moskau, Polen, Amerika oder Europa ab, sondern ganz allein von uns selbst«, sagte er am Abend seines Wahlsieges vor tausenden Anhängern auf dem Unabhängigkeitsplatz von Kiew.
Als künftiger Präsident muss er sein zwischen West und Ost tief gespaltenes Land wieder versöhnen. Außenpolitisch muss er ein gutes Verhältnis zu Russland wahren und wird doch versuchen, sein Land näher an die Europäische Union und die NATO heranzuführen.
In der korrupten ukrainischen Politik gilt der Ex-Nationalbankchef und frühere Ministerpräsident als integer und stieg auch deshalb zum Hoffnungsträger der Demokratiebewegung auf. Geboren wurde Juschtschenko 1954 in dem Gebiet Sumy an der Grenze zu Russland. Seine Eltern waren Lehrer. Als Präsident der Nationalbank errang er Mitte der 1990er Jahre international Ansehen.
Ende 1999 machte Staatschef Leonid Kutschma Juschtschenko zum Ministerpräsidenten, um ihn bereits im Frühjahr 2001 auf Druck der Oligarchen wieder fallen zu lassen. Als Juschtschenkos Verdienst gelten die Einführung der stabilen Währung Griwna und der seit 2000 andauernde Aufschwung der Wirtschaft.
Nach der Parlamentswahl 2002 war Juschtschenko noch zu zögerlich, um den Sieg seines oppositionellen Parteienbündnisses Unsere Ukraine in eine Mehrheit in der Obersten Rada umzusetzen, in dem er es den Regierungsparteien überließ, ungebundene Abgeordnete auf ihre Seite zu ziehen. In diesem Jahr ging der fünffache Familienvater gegen den Widerstand der Staatsmacht im Wahlkampf auf die Ochsentour durch die ukrainische Provinz. Seine Botschaft von der Notwendigkeit eines Machtwechsels kam an. Offen zeigte er sein von der rätselhaften Dioxin-Vergiftung entstelltes Gesicht. Er führte die Massendemonstrationen nach dem Wahlbetrug bei der Präsidentenwahl, auch wenn für die großen revolutionären Gesten seine Weggefährtin Julia Timoschenko zuständig war. Typisch für den besonnenen Juschtschenko war es, den Konflikt durch einen Kompromiss mit der alten Staatsmacht beizulegen.
Juschtschenko ist in zweiter Ehe mit der Amerikanerin ukrainischer Abstammung Katarina Juschtschenko-Tschumatschenko verheiratet. Ihr jüngster Sohn Taras ist erst neun Monate alt.

Artikel vom 28.12.2004