05.01.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Die Kultur des Todes ist Realität

Skandalöse Praxis der Sterbehilfe in den Niederlanden greift um sich

Von Birgit Kelle
Bielefeld (WB). Die Nachricht aus den Niederlanden, die Europa in der Vorweihnachtszeit erreichte, ist so ungeheuerlich, dass es einem die Sprache verschlägt. In einem offenen Brief fordern Mediziner aller acht Universitätskliniken unseres liberalen Nachbarlandes die Möglichkeit, Neugeborene mit schweren Missbildungen zukünftig straffrei töten zu dürfen.
Freude über den Nachwuchs. Traurige Realität in Deutschland ist aber auch: Jedes vierte Kind, das gezeugt wird, darf nicht zur Welt kommen.Birgit Kelle (29) ist stellvertretende Bundesvorsitzende des Vereins »Aktion Lebensrecht für Alle«.
Der Wunsch nach dieser Form der nachgeburtlichen Abtreibung wirft ein grelles Schlaglicht auf die skandalöse Praxis der Sterbehilfe, die seit zwei Jahren in den Niederlanden legal ist.
Der Rotterdamer Arzt Karel Gunning berichtete unlängst in einem Beitrag für die Fachzeitschrift »Internist« vom Fall eines jungen Mannes, der den Familien-Hausarzt bat, »dafür zu sorgen, dass der krebskranke Vater ihren Urlaub nicht durchkreuze«. Flüge und Zimmer seien gebucht und es gehe ja mit seinem Vater sowieso zu Ende. Der Hausarzt verabreichte daraufhin eine hohe Dosis Morphium, doch der alte Herr dachte gar nicht daran zu sterben.
Was Gunning an diesem Fall besonders schockierte, war die »anekdotische Leichtigkeit«, mit der ihm ein Kollege davon erzählte. Vielen Medizinern in den Niederlanden erscheint es inzwischen völlig normal, einen Patienten zu töten, um der Familie einen Gefallen zu tun.
Das wird auch durch eine Studie der niederländischen Regierung belegt, in der unlängst festgestellt wurde, dass Ärzte inzwischen in 38 Prozent der Euthanasie-Fälle auch deshalb töten, weil »die Nächsten es nicht mehr ertragen«. Die Folge: Viele ältere und kranke Niederländer tragen inzwischen sogenannte »Credo Cards« in der Brieftasche oder einfach Zettel mit der Bitte »Maak mij niet dood, Dokter!«
Inzwischen erlaubt auch Belgien unter gewissen Voraussetzungen die Tötung von Schwerkranken. Und selbst in Deutschland wächst die Zahl der Befürworter der aktiven Sterbehilfe.
Die »Kultur des Todes«, die Papst Johannes Paul II. in vielen öffentlichen Appellen leiden-schaftlich anklagt, ist längst traurige Realität. Nirgendwo wird das deutlicher als in der Abtreibungspraxis, der jedes Jahr in unserem Land 140 000 Ungeborene zum Opfer fallen - durch Krankenkassen und öffentliche Zuschüsse vollkasko gefördert.
Die seit zehn Jahren in Deutschland geltende gesetzliche Regelung im § 218 hat - nicht de jure aber de facto - die Fristenlösung durch die Hintertür zur gesellschaftlichen Normalität werden lassen. Besonders bedauerlich ist dabei, dass eine Mehrheit der CDU/CSU-Abgeordneten, die noch 1974 die Fristenlösung vor das Bundesverfassungsgericht und damit zu Fall bracht hatten, bei diesem traurigen Kapital deutscher Rechtsgeschichte mitgewirkt haben. Seither brechen alle Dämme.
Jedes vierte Kind, das heute in unserem Land gezeugt wird, darf nicht zur Welt kommen. Das ist die traurige Realität. Wie wohltuend ist es da für Menschen mit ehtischen Überzeugungen, das Ehepaar Block aus Lemgo zur besten Sendezeit im deutschen Fernsehen sagen zu hören: »Wir wollten keine Abtreibung, denn das ist für uns Mord.« Aber die Eltern der siamesischen Zwillinge Lea und Tabea mussten sich für diese Haltung sogar öffentlich anfeinden lassen.
Der Wert und die Würde des menschlichen Lebens sind in den sogenannten zivilisierten Staaten der westlichen Welt längst keine Selbstverständlichkeit mehr. In Deutschland bedeutet dies praktisch: Die Schwangere ist zwar verpflichtet, sich vor der Abtreibung beraten zu lassen, nicht aber das Recht ihres Kindes auf Leben zu respektieren. Ihr Wille auf Selbstbestimmung steht in unserem Land rechtlich über dem Lebensrecht des Kindes.
Auch im Jahr 2005 steht es deshalb schlecht um den Lebensschutz in Deutschland, und der Widerstand ist halbherzig und weitgehend wirkungslos. Die christlichen Kirchen und die Lebensrechts-Organisationen sind heute mehr denn je gefragt, ihre Stimme lautstark zu erheben und die Diskussion um die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens in allen Entwicklungsstufen wieder in die Gesellschaft zu tragen.

Artikel vom 05.01.2005