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Flurbereinigung - oder eine
amtlich verbriefte Enteignung

Wie ein Landwirt seine Scheune durch einen behördlichen Fehler verliert

Von Hubertus Hartmann
Borgentreich (WB). Durch einen amtlichen Irrtum hat ein Landwirt aus Borgentreich (Kreis Höxter) seine Scheune verloren. Doppeltes Pech für den Mann: Ein fragwürdiges Gesetz verhindert, dass der behördliche Fehler korrigiert oder angefochten werden kann. »Das ist doch eine schreiende Ungerechtigkeit«, empört sich Reinhold Dohmann.

Der 72-jährige und sein Sohn Rolf (37) betreiben in Borgentreich neben drei Kinos und einem Gasthof einen kleinen Bauernhof, auf dem sie Angus-Rinder züchten. Als Besitzer landwirtschaftlicher Flächen nahm Reinhold Dohmann auch an einem Flurbereinigungsverfahren teil, das in den Jahren 1977 bis 1994 die Acker- und Grünlandverteilung in dem Bördestädtchen neu regelte. Mit der so genannten »Schlussfeststellung« wurde das Verfahren Ende 1999 rechtskräftig beendet. Die Beteiligten waren mit dem Ergebnis mehr oder weniger zufrieden.
Dohmann konnte mit dem neuen Zuschnitt seiner Ländereien gut leben. Denn damals wusste er noch nicht, dass ihn das Amt für Agrarordnung durch ein dummes Versehen praktisch enteignet hatte.
Zum Zankapfel wurde eine alte Wagenremise, die Dohmanns Urgroßvater Johann Götte um das Jahr 1900 auf einem Grundstück der Stadt Borgentreich errichtet hatte. Für die Nutzung der Gebäudefläche zahlte die Familie Dohmann der Kommune bis heute eine jährliche Anerkennungsgebühr von zuletzt 4,39 Euro. Dass die Dohmanns nicht mehr Eigentümer des Gebäudes sind, wurde erst bei einer Kanalbaumaßnahme im vergangenen Jahr bemerkt.
Im Flurbereinigungsverfahren war die städtische Fläche, auf der die Scheune steht, einem Landwirt aus dem Nachbarort Muddenhagen zugeschlagen worden. Dabei vergaß ein Sachbearbeiter des Amtes für Agrarordnung jedoch, die Immobilie zu bewerten. Der neue Eigentümer bekam, ohne dass er es wusste, versehentlich nicht nur die Fläche, sondern dazu das Gebäude zum Nulltarif - Dohmann ging leer aus.
Für den Borgentreicher Bürgermeister Bernhard Temme »eine äußerst ärgerliche Angelegenheit«. Für die Stadt sei der Irrtum auch nicht früher erkennbar gewesen. »Ich erwarte, dass der Fehler korrigiert wird«, schrieb er deshalb dem Agrarordnungsamt in Warburg. Dort zuckte man jedoch nur verlegen die Schultern. Mit der Schlussfeststellung seien sämtliche Einspruch- und Widerspruchsfristen definitiv erloschen. Leider könne man den eigenen Fehler nun nicht mehr korrigieren. »In der Flurbereinigung Borgentreich hat keine Bewertung der Scheune stattgefunden, und somit ist die Scheune entschädigungslos auf Herrn K. übergangen«, räumte die Behörde immerhin ein und riet, »den Tatbestand einer ungerechtfertigten Bereicherung, § 812 ff BGB, gerichtlich zu klären«.
Weil er die Remise freiwillig nicht wieder herausrücken will, verklagten Bürgermeister Temme und Rolf Dohmann den Landwirt K. beim Landgericht Paderborn auf Rückgabe. Allerdings erfolglos. Der Richter berief sich auf das Flurbereinigungsgesetz und wies die Klage ab. Etwaige Ansprüche hätten im Rahmen des Verfahrens geltend gemacht werden müssen - diese Frist sei verstrichen.
Spätestens am 31. Dezember müssen Vater und Sohn Dohmann die von ihrem Urgroßvater erbaute Scheune räumen, was für Reinhold Dohmann »einer amtlich verbrieften Enteignung« gleicht. »Es ist doch sittenwidrig, dass eine Amtsperson für derart grobe Fehler nicht einmal in Regress genommen werden kann«, zweifelt der Senior an der Gerechtigkeit des deutschen Rechtssystem. »Hier muss zwingend etwas geändert werden.«

Artikel vom 30.12.2004