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Die Sonne begann zu sinken, und die Bug- und Heckwellen reflektierten ihre Strahlen millionenfach in alle Richtungen. Livia war gerade dabei, ihre Blumentöpfe zu arrangieren, als im Vorraum der Gong ertönte.
Für einen Moment dachte sie, Angelo sei vielleicht frühzeitig zurückgekehrt, wie dies ja hin und wieder schon vorgekommen war. Sie eilte zur Tür und war nahe daran, sie unbedacht zu öffnen. Doch als sie die Hand nach der schweren Sicherheitskette ausstreckte, zögerte sie, als müsste sie eine giftige Schlange berühren. Sie besann sich, dass Angelo ihr geraten hatte, fremden Personen keinen Zutritt zu gewähren.
»Wer ist da?«, fragte sie, ohne die Tür zu öffnen.
»Signora Romano?«, drang eine befehlsgewohnte Stimme an ihr Ohr.
»Ja bitte?«, fragte sie irritiert zurück.
»Öffnen Sie!«
Livia knipste den Schalter der Alarmglocke aus und drückte zögernd die Klinke, jedoch ohne die Sicherheitskette zu entfernen. Durch den Türspalt entdeckte sie zwei Männer in grauen Anzügen. Ohne ein weiteres Wort zu wechseln, zeigte einer der Männer eine Plakette.
»Kriminalpolizei! Commissario Metelli! Wir haben mit Ihnen zu reden!«, klang es bedrohlich.
Doch plötzlich flitzten die Augen des Commissario durch den Türspalt auf und nieder, als ob er schnell etwas erfassen wollte, was sich seinen Augen unwiederbringlich entziehen würde. Livia kannte dieses Blitzen in seinen Augen und wusste es zu deuten. Sie trug ein gelbes Kleid an jenem Tag, das ihre gazellenhafte, sonnengebräunte Figur ideal betonte. Ihr Mann, Angelo, schwankte zwischen Bewunderung und Eifersucht, wenn sie so mit modischen, eng geschnittenen Kleidern unbefangen und selbstbewusst ihre anziehende Weiblichkeit herausstellte. Livia war geboren für das »raffinierte Kleid«, das nicht jede Frau mit Selbstvertrauen, Anmut und Sicherheit tragen konnte. Ihr hübsches Gesicht und ihr schulterlanges, kastanienbraunes Haar taten ihr Übriges. Richtig aus der Fassung geriet Angelo, wenn sie sich hin und wieder unbekümmert in knappen Dessous am Schlafzimmerfenster zeigte. »Du bringst noch den Schiffsverkehr auf dem Canale Grande zum Erliegen!«, rief er, um sie vom Fenster zu vertreiben É
»Bitte«, kam es kurz darauf beinahe versöhnlich über Metellis Lippen.
»Wer ist der andere Herr?«, fragte Livia, um etwas Zeit zu gewinnen.
»Mein Assistent, Signore Neri.«
»Was wollen Sie von mir?«Der Commissario lächelte und steckte seine Plakette wieder ein. »Wir wollen Ihren Mann, Signore Romano, sprechen. Erwarten Sie ihn heute noch?« Während Metelli sprach, bewegten sich seine Augen immer noch auf und nieder.
»Darauf möchte ich keine Antwort geben«, sagte Livia provozierend.
»Signora, ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen. Bitte öffnen Sie die Tür.«
»Ist das nötig?«
»Ja!«
Die Tür schwang auf, und Commissario Metelli trat ein, während er seinem Assistenten durch einen Wink andeutete, ihm zu folgen. Livia schloss leise die Tür und geleitete die Herren in den Salon. Die dicken Teppiche verschluckten jeden Schritt.
Das Auge des Kommissars glitt sogleich an der rechten Salonwand entlang, die eine Reihe von Bildern der italienischen Schule zierte. Livia war zwar keine Kunstexpertin, aber sie hatte, seit sie hier wohnte, einiges über den Wert solcher Gemälde erfahren. So wusste sie recht genau, was für ein Gemälde wie das von Niccolò Frangipane, einem Maler, der gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts in und um Venedig tätig war, geboten wurde oder was die Preise für Madonnenbilder wie das von Il Garofalo, der etwas früher in Ferrara malte, oder das von Andrea di Bartolo waren.
Was Livia zu jenem Zeitpunkt nicht wusste, war die Tatsache, dass Metelli zu einer Sonderkommission zählte, die auf den Schmuggel von Kunstgegenständen angesetzt war.
Ungeniert trat der Kommissar an die gegenüber liegende Wand, an der nur ein einziges Bild über dem schwarz lackierten Flügel hing. Es war das großformatige Porträt eines Papstes in einem prächtigen frühklassizistischen Rahmen. Auf einem zierlichen Schild stand der Name Pompeo Batoni, eines Erfolgsmalers des achtzehnten Jahrhunderts. Livia wusste von Angelo, dass es das teuerste Bild im Raum war. Metelli trat nahe an das Gemälde heran, als wollte er unter den Farbschichten einen Webfehler in der Leinwand entdecken. Als er das Objekt ausgiebig geprüft hatte, wandte er sich wieder an Livia und fragte: »Echt?«
»Kommen Sie bitte zur Sache!«, konterte Livia, während Metellis Blick wieder auf und ab zu hüpfen begann. Livia blieb mitten im Salon stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Sonne brachte die Farbe ihres Kleides zum Leuchten.
Metelli schielte auf die wunderschönen, bequemen Directoire-Sessel, die zum Verweilen einluden. »Darf ich mich setzen?«
»Ich habe wenig Zeit, Commissario«, erwiderte Livia und schenkte ihm ein knapp bemessenes Lächeln.
Metelli leckte sich mit seiner spitzen Zuge die Mundwinkel, während er auf seine Uhr sah. »Wo befindet sich Ihr Mann gerade?«
»Soviel ich weiß, nimmt er Termine in Mailand wahr.« Die letzten zwei Worte sprach sie in verzögerndem Ton, da sie beobachtete, wie sich Metellis Assistent ungeniert dem ovalen Glastisch näherte, auf dem sich Livias persönliche Fotogalerie befand. »Signore! Ich habe es nicht gern, wenn in meiner Wohnung ungefragt geschnüffelt wird!«
Metelli drehte sich um. »Negri! Kommen Sie her«, befahl er ungehalten. Sofort hatte er sich wieder unter Kontrolle und sprach in sanftem Ton: »Signora, ich darf meine Frage wiederholen: Wann erwarten Sie Ihren Mann wieder zurück?«
»Um was geht es denn?«
»Reine Routine, Signora Romano. Laut Auskunft des Justizministeriums und der Zollbehörden könnte sich der Fall allerdings als heikel erweisen.«
»Ich verstehe nicht?«
»Ihr Mann handelt mit Kunstwerken, aber ohne Händlerlizenz. Das ist für die Steuerbehörden interessant, aber auch für den Zoll. Sein Name wurde vor vielen Jahren schon einmal mit einem Gemälde in Zusammenhang gebracht, das verbotenerweise ins Ausland geschafft wurde.«
»Mein Mann ist Unternehmensberater! Von solchen Geschäften weiß ich nichts É Ich meine É habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie meinen Mann verdächtigen?«
»Wie ich schon sagte, reine Routine. Wie Sie wohl wissen, Signora Romano, verbietet das italienische Gesetz, Gemälde ohne Ausfuhrlizenz außer Landes zu bringen.« Daraufhin trat er wieder an den Batoni heran und senkte seinen Kopf, als wollte er die Signatur erforschen. »Sie sind doch sicher auch der Meinung, dass unser kulturelles Erbe nicht durch gierige ausländische Spekulanten geplündert werden sollte.«
»Davon verstehe ich nichts.«
Metelli zog fragend die Augenbrauen hoch und zeigte auf den Batoni: »Wenn dieses Bild echt ist, wäre es für die Behörden von Interesse, ob es auch registriert ist.«
»Dazu kann ich Ihnen nichts sagen.«
»Gestatten Sie, dass ich es von der Wand nehme?«
»Unterstehen Sie sich!«, brauste Livia auf. Überrascht durch die scharfe Antwort, zuckte Metelli zurück. »Sie werden hier nichts anfassen!«
Der Commissario hob beschwichtigend die Hände. »Wie Sie wünschen, Signora. Also, wann erwarten Sie ihren Mann aus Mailand zurück?«
Livia atmete tief durch. Dann erwiderte sie leise: »Er wollte am Freitag wieder hier sein.«
»Wir müssen Ihren Mann spätestens am Montag sprechen. Sagen Sie ihm, wir kämen Montag gegen zehn Uhr.«
»Ich weiß nicht, was er am Montag vorhat. Ich kenne seinen Terminkalender nicht.«
»Signora, entweder hier oder auf dem Präsidium!«, erwiderte Metelli gereizt.
»Ist es so dringend?«, fragte Livia nun interessiert zurück. Dabei knickte sie in der Hüfte ein und stützte ihren rechten Arm aufreizend an der schmalen Taille ab.
»Ein Kunsthändler aus Mailand und ehemaliger Mitarbeiter einer angesehenen Galerie hat sich bei Capri von den Klippen gestürzt. Er hatte wohl finanzielle Probleme. In seinen Unterlagen taucht auch die Adresse Ihres Mannes auf.«
Livia nahm schlagartig eine normale Haltung ein. Ihre Gesichtszüge wurden ernst. Metelli winkte seinem Assistenten und verließ den Salon. Livia folgte stumm. Bevor er sich an der Tür verabschiedete, blickte er in Livias fragendes Gesicht. Als er sich knapp verneigte, meinte er: »Wir prüfen, ob eine Verbindung zwischen der Verzweiflungstat und den Geschäften Ihres Mannes besteht.«
Als Metelli im Treppenhaus stand und Livia gerade die Tür schloss, hörte sie noch einmal seine Stimme. Sie kam sich vor wie ein Soldat auf dem Exerzierplatz, der einen Befehl entgegenzunehmen hatte: »Montag gegen zehn!«

Schon als er die Treppe hinaufkam, merkte Livia an seinem Schritt, dass es um ihren Mann nicht zum Besten stand. Angelo war immer ein guter Schauspieler gewesen, wenn er im Mittelpunkt des Interesses stand, doch wenn er müde oder erschöpft war, wenn ihm das Dynamische fehlte, dann konnte sie sehr schnell feststellen, was in ihm vorging. Um ihn auf bessere Gedanken zu bringen, zeigte sie sich erfreut über seine Heimkehr und täuschte Sorglosigkeit vor.
»Wie war es in Mailand? Alles gut gelaufen?«, fragte sie fröhlich und nahm ihm den Aktenkoffer ab, während er die elegante Reisetasche im Flur an der Garderobe abstellte.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 04.01.2005