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Die zerstörerische Schönheit der Wellen

Von Jochen Neumeyer
Ko Lanta (dpa). Die erste Welle war geradezu atemberaubend schön - noch war nicht klar, welche Zerstörung sie anrichten würde. Es war gegen 11 Uhr gestern Morgen, als sie den Strand von Ko Lanta traf, einer Insel vor Südthailand, 60 Kilometer vom Urlauberzentrum Phuket entfernt.

Ich bin als Urlauber hier, nicht als Tourist, bin nicht Beobachter, sondern Betroffener. Einer, der viel Glück gehabt hat.
Es war ein ruhiger, sonniger Tag, die Temperatur schon am frühen Vormittag über 30 Grad, die Andamanensee ruhig wie ein warmes Binnengewässer. Ich sah die Welle von Strand aus: eine einzige Welle, gerade wie eine sorgfältig gebügelte Falte im Meer, die den ganzen Horizont einnahm und sich lautlos auf das Ufer zuschob. Das Wasser am Strand zog sich zurück, als die Welle näher kam. Sie war vielleicht 4 Meter hoch, als sie brach und sich mit lautem Tosen überschlug, keine 20 Meter vom Strand entfernt.
Die Urlauber, die das Spektakel bis dahin atemlos und erstarrt verfolgt hatten, fingen an zu rennen. Die Angestellten der kleinen Ferienanlage aus Bambushütten schrien aufregt Warnrufe auf Thailändisch. Das Wasser überschwemmte nur einen kleinen Teil der Anlage, dann zog es sich wieder zurück. Es schien wie ein aufregendes, aber harmloses Spektakel, einige fingen schon an, aufzuräumen, bis ein paar Minuten später die zweite Welle kam. Das Wasser schoss auf den Strand und über den Rasenplatz, wir rannten wieder die Straße hinauf. Mehrere Hütten direkt am Strand brachen zusammen, ein Boot aus Holz, um die fünf Meter lang, wurde auf die Straße geschleudert.
Als sich die zweite Welle zurückgezogen hatte, versuchten die, deren Hütten noch standen, ihre Habseligkeiten zu retten. Kurz darauf jedoch brach eine dritte Welle herein. Nun kam endgültig Panik auf, zumal jede Welle größer schien als die zuvor. Urlauber rannten eine Anhöhe hinauf, in den Händen das, was sie eilig zusammengerafft hatten. Touristen und Thailänder sammelten sich zunächst bei einer hoch gelegenen Medizinstation. Ein französischer Tourist, der sich auf der Flucht vor den Fluten einen tiefen Riss quer über den Rücken zugezogen hatte, wurde notdürftig von anderen Touristen versorgt.
Bald schon brachten die Betreiber von Ferienanlagen Wasser und Obst heran, um das Ausharren in der sengenden Hitze zu erleichtern. Polizei oder Ordnungskräfte waren nicht zu sehen. Es dauerte über eine Stunde, bis die Medizinstation öffnete und sich der ausnahmslos Leichtverletzten annahm. Ein Paar aus Italien bringt seinen vielleicht acht Jahre alten Sohn auf die Station; der Junge ist vor Erschöpfung zusammengebrochen. Ihr ganzes Hotel sei weggespült worden, sagt die Mutter, eine Frau sei gestorben. Überprüfen lässt sich so etwas vor Ort nicht.
Die Betreiber der teueren Anlagen hatten erstaunlich schnell Ausweichquartiere für ihre Gäste organisiert, andere harren noch am frühen Abend auf dem Hügel aus. Höher gelegene Quartiere sind am begehrtesten, da vor Ort keiner weiß, ob mit weiteren Wellen zu rechnen ist.
Von einer Insel vor der Südküste Indiens haben Fischer 400 Touristen gerettet. Etwa 100 ältere Menschen mussten auf der Insel bleiben. Sie waren körperlich nicht in der Lage, die kleinen Boote in der unruhigen See zu erreichen. Über die Herkunft der Touristen wurden keine Angaben gemacht.
Die Fischer mussten wegen des hohen Wellenganges die Rettungsaktion abbrechen. Hubschrauber der indischen Armee warfen Lebensmittel über der Insel ab. Die Touristen hatten ein Denkmal des indischen Philosophen Swami Vivekananda besucht. Das Eiland liegt nur 500 Meter vor der Küste.

Artikel vom 27.12.2004