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»In den Zukunftstechnologien
stärker Wurzeln schlagen«

Thomas Niehoff, IHK Ostwestfalen, sieht gute Chancen für die Region

Bielefeld (WB). Das Wirtschaftsjahr 2004 hat auch in Ostwestfalen Höhen und Tiefen mit sich gebracht. Einer, der die Lage bestens beurteilen kann, ist Thomas Niehoff, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Ostwestfalen zu Bielefeld. Mit ihm sprach Bernhard Hertlein.

2004 war, vom Kanzler und vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag ausgerufen, das »Jahr der Innovationen«. Wie innovativ ist die ostwestfälische Wirtschaft?Niehoff: Der Mittelstand kann sich im Wettbewerb mit den Großen nur durch ständige Innovationen behaupten. Das gelingt der hiesigen Wirtschaft bisher sehr gut. Als Region des Mittelstands muss Ostwestfalen seine Innovationskraft aber nicht nur in den Produktneuheiten der Unternehmen beweisen, sondern auch im Ausbau von Zukunftstechnologien und in der Veränderung veralteter Strukturen.

Welche sind die Innovationsbranchen in Ostwestfalen?Niehoff: Es gibt in jeder Branche eine Fülle von innovativen Betrieben, natürlich auch in den Traditionsbranchen wie Maschinenbau, Möbelindustrie, Ernährungsgewerbe oder Elektrotechnik, um nur einige zu nennen. Hier, aber auch in anderen erfolgreichen Wirtschaftszweigen haben Unternehmen aus der Region immer wieder die Nase vorn und sichern so eine große Zahl von Arbeitsplätzen.
Daneben muss es auch gelingen, in speziellen Zukunftstechnologien stärker Wurzeln zu schlagen. Zwei Beispiele: Dank der Universität Bielefeld mit ihren international anerkannten Forschungsschwerpunkten Bio- und Nano-Technologie und der Universität Paderborn mit dem Schwerpunkt Informationstechnologie sind in Ostwestfalen beste wissenschaftliche Voraussetzungen gegeben. Es muss jetzt darum gehen, die engen Kontakte zwischen Wirtschaft und Forschung in Ostwestfalen strukturell zu verankern. Ein guter Schritt in diese Richtung ist die Gründung von BINAS, dem Bielefeld Institute for Biophysics and Nanoscience, wo die IHK tatkräftig mitgeholfen hat.
Beim Thema Innovation ist es manchmal allerdings auch paradox. Da klagen wir über zu wenig Ingenieurstudenten und unternehmen in der Region mit vielen Akteuren Anstrengungen, um Abiturienten für den Ingenieurberuf zu gewinnen. Und erfreulicherweise gibt es wieder viele Bewerber in den Ingenieurstudiengängen, aber was passiert? Die Fachhochschule Bielefeld muss einen harten Numerus Clausus festsetzen, weil sie aus Düsseldorf für den Studentenandrang nicht genügend Stellen und Mittel erhält, um eine vernünftige Hochschulausbildung gewährleisten zu können. Das darf nicht passieren, hier müssen die Räder besser ineinander greifen.

In der zweiten Jahreshälfte 2003 schien es so, als könnte 2004 die konjunkturelle Wende bringen. Wann kommt der Aufschwung nach Ostwestfalen?Niehoff: Unsere Region kann sich nicht vom Bundestrend abkoppeln. 2004 war für die meisten Unternehmen kaum ein zufriedenstellendes Jahr. Am besten schlugen sich die Firmen, die im Export engagiert sind. Da zahlt es sich aus, dass die ostwestfälische Wirtschaft - auch mit Unterstützung der IHK - in den vergangenen Jahren große Anstrengungen unternommen hat, um das Auslandsgeschäft zu intensivieren. In den letzten fünf Jahren stieg die Exportquote der hiesigen Industrie von 23 auf 30 Prozent.
Weltwirtschaftlich war 2004 mit einem Wachstum von fünf Prozent das zweitbeste seit über 20 Jahren. Dass Deutschland mit etwa 1,7 Prozent so wenig daran teil hatte, ist erschreckend - zumal ein knappes Drittel des deutschen Zuwachses noch durch die besondere Lage der Feiertage begründet ist.
In der Vergangenheit konnten Arbeitsplätze, die in Produktionsbetrieben wegfielen, in Ostwestfalen durch neue Stellen im Dienstleistungssektor aufgefangen werden. Dies ist seit ein bis zwei Jahren nicht mehr der Fall. Nach Meinung der Wirtschaftsforscher können wir für 2005, auch auf Grund der Energie- und Rohstofflage sowie des starken Euros, schon zufrieden sein, wenn in Deutschland ein Wachstum wie 2004 - also zwischen ein und zwei Prozent erreicht wird.

Sind Sie mit dem Engagement der Mitgliedsunternehmen bei der Schaffung neuer Lehrstellen zufrieden?Niehoff: Ja, absolut. Die Betriebe haben hervorragend mitgezogen. Wir haben im Bereich der IHK Ostwestfalen die im Ausbildungspakt zugesagten Lehrstellen tatsächlich bereitstellen können. Und mehr als das! Bei den Neuverträgen bedeutet dies zum Stichtag Ende November einen Zuwachs um acht Prozent oder 462 zusätzliche Ausbildungsverträge. Durch einen Kraftakt auch der beiden bei der IHK eingestellten Akquisiteure wurden 80 neue Betriebe für die Ausbildung gewonnen, die in der Vergangenheit keine Lehrlinge beschäftigten. Für alle, die trotzdem noch keine Lehrstelle haben, bietet die Wirtschaft 300 mehrmonatige Praktika zum Einstieg in eine richtige Ausbildung.

Wie viele Betriebe im Bereich der Industrie- und Handelskammer bilden überhaupt aus?Niehoff: Von unseren Mitgliedsunternehmen sind aufgrund von Größe und Struktur etwa 7000 ausbildungsfähig. Von ihnen stellen etwa 4200 eine oder mehrere Lehrstellen zur Verfügung.

Wäre das Engagement der Wirtschaft auch ohne Ausbildungspakt und damit ohne Drohen mit der Ausbildungsplatzabgabe zustande gekommen?Niehoff: Sicher hat der Druck, der durch die Politik erzeugt worden ist, zu einer zusätzlichen Anstrengung geführt. Allerdings gibt es deshalb in den Unternehmen auch viel Frust über die Politik. Drohgebärden sind als Mittel zur Motivation auf Dauer ungeeignet, sie erreichen das Gegenteil von dem, was gewollt ist.

Wird die Wirtschaft in Ostwestfalen auch 2005 einen ungefähren Ausgleich zwischen Lehrstellenangebot und Nachfragern hinbekommen?Niehoff: Die Latte liegt jetzt noch höher,- gerade in OWL, wo die Quote der Schulabgänger sehr viel höher ist als im Landesdurchschnitt. Trotzdem werden wir auch 2005 alles tun, um die Zusage im Ausbildungspakt wieder einzuhalten.

Entgegen den Versprechungen von Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement ist Ostwestfalen bundesweit keine Modellregion geworden. Trifft das die Wirtschaft?Niehoff: Wir sind enttäuscht und hatten uns eindeutig mehr versprochen. Ich finde es schade, dass dieses innovative Politikmodell der Testregionen auf Bundesebene offensichtlich gescheitert ist. Umso mehr freuen wir uns, dass der Modellversuch für Bürokratieabbau auf Landesebene mit voller Kraft weitergeführt wird.
Ich hoffe, dass das Landesparlament auch unsere zweite Welle von 36 neuen Vorschlägen komplett umsetzt. Dabei profitiert die Region nicht nur davon, dass einige Vorschriften befristet außer Kraft gesetzt werden.
Ebenso wichtig ist die Aufbruchstimmung in den Behörden, wo es um schnellere und schlankere Verfahren geht.

Artikel vom 30.12.2004