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Am Weihnachtstag durften
Kinder den Baum abschütteln

Annette Hesse klärt Schüler über Festbräuche aus alten Zeiten auf

Von Dietmar Kemper
Lemgo (WB). Der leckere Stollen stellt die Wiege oder Windel des Christkindes dar. Als »christliches Gebildebrot« gehörte er seit dem 15. Jahrhundert zum Weihnachtsfestessen. Auch die Tiere wurden früher beschert, weiß Annette Hesse aus Blomberg (Kreis Lippe). Kühe, Schweine, Esel und Gänse hätten wegen der Geburt Jesu eine Extraportion Futter bekommen.
Weihnachten 1924 in Hagen: Die Familie trifft sich am Weihnachtsbaum. Über Jahrhunderte wurde die Tanne mit Essbarem behängt. Dann ersetzten Glaskugeln die Äpfel. Foto aus dem Archiv des Landschaftsverbands

Annette Hesse (45) ist Mitarbeiterin des Weserrenaissance-Museums Schloß Brake in Lemgo. Im Advent hat sie Erwachsenen und Schulkindern in speziellen Führungen erzählt, wie unsere Vorfahren seit dem Mittelalter Weihnachten begingen. Im 7. und 8. Jahrhundert habe sich der Brauch, die Ankunft Jesu am 25. Dezember zu feiern, in Deutschland durchgesetzt. »Im Mainzer Konzil 848 wurde dieser Tag zum allgemeinen kirchlichen Feiertag erklärt - erst gingen die Feiern über mehrere Tage, seit dem 19. Jahrhundert über zwei Tage«, berichtet Hesse. Bis etwa 1150 hätten die Menschen vom »Christfest« gesprochen, danach auch von »Weihnachten«. Dieses Wort leite sich vom Mittelhochdeutschen »ze den wihten nahten«, übersetzt »in den geweihten Nächten«, ab.
Schulkinder erfahren von Annette Hesse, dass die Krippen eine Reaktion auf den weit verbreiteten Analphabetismus darstellen. »Für diejenigen Menschen, die nicht lesen und schreiben oder dem Gottesdienst in lateinischer Sprache nicht folgen konnten, wurden Krippenspiele aufgeführt, damit alle die Weihnachtsbotschaft verstanden.« Weihnachtsbäume waren bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nicht weit verbreitet. »Für das 15. Jahrhundert ist aus dem Straßburger Raum die Sitte überliefert, kleine Eiben, Stechpalmen und Buchsbäumchen in die Stuben zu stellen. In einem Reisebericht ist erwähnt, dass ein solcher Baum mit Papierrosen, Äpfeln, Oblaten und Zischgold geschmückt war.«
Seit etwa 1570 wurden in Gemeinschaftsräumen von Zünften, Gemeindesälen und Hospitälern Gabenbäume aufgestellt. Sie waren mit Nüssen, Datteln, Brezeln und Papierblumen geschmückt. »Die Kinder der Zunftgenossen durften am Weihnachtstag diesen Baum abschütteln«, weiß Annette Hesse. Erst viel später sei der Tannenbaum zum bunten Mittelpunkt des Wohnzimmers geworden. Buchstäblich zum Anbeißen, war er mit Obst und Gebäck behängt, später sogar mit Spielzeug und Kleidung. »Erst Ende des 18. Jahrhunderts kamen Kerzen hinzu, und die Äpfel wurden durch Glaskugeln ersetzt«, sagte Annette Hesse dieser Zeitung. Bescherungen von Kindern sind seit dem 16. Jahrhundert verbürgt und lassen sich bereits 1450 in Konstanz nachweisen. Praktische Dinge wie Schleifen, Knöpfe und Schuhe gehörten genauso zu den Geschenken wie Puppen und Schlitten.
Die Armen fühlten sich zu Weihnachten wie im Paradies. Lebensmittel, aber auch Wein und Lebkuchen wurden an sie verteilt. Annette Hesse: »Für die Armen war es eine sehr seltene Gelegenheit, sich satt zu essen.« Die Schlachtmonate November und Dezember kamen dem allgemeinen Wunsch zu schmausen entgegen. Festessen, wie die seit Oktober fetten Gänse, stand reichlich bereit, zumal auch die Nüsse im Dezember genussreif waren.

Artikel vom 24.12.2004