30.12.2004 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Prof. Dr. Klaus Hurrelmann: »Ein gelungenes Format.«

Wenn das Fernsehen
Erziehungshilfe bietet

Jugendforscher Hurrelmann über die »Super-Nannys«

Von Sabine Schulze
Bielefeld (WB). Wenn Super Nanny Katharina Saalfrank und ihre Mitstreiterinnen rat- und hilflosen Eltern im Fernsehen Erziehungstipps geben, schauen Millionen Zuschauer zu. Die, die doch eigentlich froh sein müssten, die eigenen Kinder glücklich (und hoffentlich friedlich) ins Bett expediert zu haben, werden mit Hingabe Zeuge, wie es in anderen Familien zugeht, wie Kinder nölen, sich trotzig zu Boden werfen, gegen Türen treten, den Geschwistern an den Haaren zerren oder nach Mama schlagen.

Aber auch Erziehungsprofis sehen die Super Nanny und Super-Mamas mit Wohlgefallen. »Ich war angenehm überrascht, dass ein so wichtiges Thema so kompakt 'rübergebracht werden kann und in einem Leitmedium transportiert wird«, sagt Prof. Dr. Klaus Hurrelmann, Jugendforscher an der Universität Bielefeld.
Dass die im Fernsehen dargestellten Fälle authentisch sind, bezweifelt er nicht. »In diesen Familien, die sich vor laufender Kamera Rat holen, muss über längere Zeit vieles schief gelaufen sein. Und offensichtlich haben die Eltern von sich aus die Kurve nicht mehr bekommen.« Dass viele Väter und Mütter Unterstützung von außen, von professioneller Seite, benötigen, weiß Hurrelmann: »Das Thema liegt schon lange in der Luft, Elterntrainingsprogramme, wie sie zum Beispiel auch der Kinderschutzbund anbietet, sind gefragt.«
Für fatal hält er den Rückschluss, dass alle Familien mit gravierenden Erziehungsproblemen es aus eigener Kraft schaffen, sie zu bewältigen, wenn sie nur die »Edu-Soap«, die Unterhaltung mit Erziehung kombiniert, verfolgen. Viele Eltern, vermutet der Wissenschaftler, fühlen sich in ihrer Erziehung durch die erteilten Ratschläge aber bestätigt und gewinnen Anregungen. Immerhin wird deutlich: »Erziehung ist auch ein Handwerk und Faustregeln kann man trainieren.«
Dass in den Familien, deren Fälle geschildert werden, ein Mangel an Struktur herrscht, hält Hurrelmann für typisch. »Das merkt man als erstes auf der Zeitebene; ein fester Rhythmus ist für Kinder einfach wichtig.« Und der Strukturmangel auf der Zeitachse sei übertragbar auf die Sozial -und Beziehungsebene. Das Schwierigste sei offenbar für viele Eltern, Regeln zu formulieren und sie selbst einzuhalten. »Und bei Regelverletzungen durch die Kinder heißt es, sofort und konsequent zu sanktionieren - selbst wenn man auf dem Sprung ins Büro ist und eigentlich keine Zeit hat.«
Wichtig ist Hurrelmann zu betonen, dass sich kein Familienmitglied aus dem unangenehmen Erziehungsgeschäft heraushalten kann, dass Eltern einen Mittelweg zwischen den beiden extremen Stilen der autoritären Erziehung und einem Laissez-faire finden müssen. »Die Kinder leben in einer demokratischen, individualisierten Gesellschaft, wissen heute, dass sie Rechte haben und tragen das in ihre Beziehung zu den Eltern. Die müssen aber dennoch für Verbindlichkeit sorgen«, postuliert der Erziehungswissenschaftler.
Drei Dinge hält er für unabdingbar in der Erziehung: Anerkennung (aber Vorsicht: Man muss nicht alles, was der Nachwuchs macht, toll finden), Anregung (Loben - aber auch fördern und fordern) sowie Anleitung - für Hurrelmann das Schwierigste, weil es Präsenz erfordert. »Wichtig sind feste Verabredungen zu Gemeinsamkeiten. Sie vermitteln den Kindern das Gefühl, ernst genommen zu werden, zugleich sind sie die »Leitplanken«, die Orientierung geben. »Kinder fangen sonst an zu rudern, testen, wie weit sie gehen können und müssen, bis eine Reaktion erfolgt.« Denn Restriktion bedeute nicht nur Beschränkung, sondern auch Wahrnehmung durch die Eltern. Und das vermitteln auch die Super-Mamas.
»Das ist endlich ein Format, dass richtige professionelle Erziehungshilfe bietet«, urteilt Hurrelmann abschließend. Er hofft, dass damit auch die Eltern mit massiven Problemen, die Hilfe von außen für sich bisher nicht als gangbaren Weg gesehen haben, erreicht werden - zum Wohle ihrer Kinder.

Artikel vom 30.12.2004